Hamburger Autoren lesen im Café International

Fluchtpunkt Hamburg

von Daniela Boltres und Klaus Stakemeier

Jeden zweiten Mittwoch lädt Exil zum Café International ins StadtGalerieCafé ein. Am Mittwoch, 18. April, geht es an einem Tisch besonders lebhaft zu: Der Herausgeber Reimer Boy Eilers sitzt mit einigen Autor*innen des Buches „FLUCHTPUNKT HAMBURG. Texte aus dem Exil“ zusammen. Sie besprechen die Präsentation von Texten, die im Anschluss an das Café International um 19 Uhr beginnen soll. Als sich um 18.30 Uhr das Café allmählich leert, werden einige am Tisch unruhig, da an dem Abend noch einige andere Veranstaltungen die Menschen Osnabrücks locken. Omid Rezaee, einer der Autoren, beruhigt alle: „Wir haben schon vor wenigen als zehn Leuten gelesen und es war wunderbar.“

Um 19.05 Uhr betritt Daniela Boltres, die bei Exil das Café International leitet, die Bühne und spricht die Begrüßungsworte. Bereits da sind es schon wieder ca. 40 Personen, die eigens zur Lesung erschienen sind, die untermalt wird von musikalischen Intermezzi mit „echten“ LPs vom Münsteraner DJ At.

Das Programm dauert annähernd zwei Stunden. Nach der Begrüßung und der ersten Musikeinlage tritt der vom Projekt WER VERSTEHT DAS SCHON?© bekannte syrische Lyriker Hasan al Hasan auf und rezitierte einige seiner Gedichte. Dann betritt die in Osnabrück lebende Iranerin Sohila Latifian die Bühne und stellte eine Kurzgeschichte der iranisch-deutschen Autorin Nassrin Ranjbar-Irani vor, die in einem Dialog zwischen Mutter und Sohn das Dilemma vieler geflüchteter Menschen thematisiert: Die Vorteile, an einem sicheren Ort angelangt zu sein, wiegen den Verlust des zurückgelassenen Lebens nicht immer auf. Im Gegenteil: In Ranjbar-Iranis Geschichte werden sie mit der Stimme des Kindes immer wieder bestritten. Die Autorin, die aus gesundheitlichen Gründen leider nicht nach Osnabrück kommen konnte, lebt in Hamburg und ist Mitglied im VS – Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Landesverband Hamburg, dem die Veröffentlichung des im Mittelpunkt des Abends stehendenes Buches „FLUCHTPUNKT HAMBURG.Texte im Exil“ zu verdanken ist.

Nach musikalischer Intervention von DJ At liest der Schriftsteller und freie Journalist Omid Razaee aus seinem Werk, dass er auf Deutsch verfasst hat. Im Bewusstsein, dass ihm die deutsche Klangsprache noch einige Schwierigkeiten bereitet, setzte sich Rezaee mit seinem Beitrag den gewaltigen Ansprüchen an einen geflüchteten Sprach-Arbeiter aus, der in der neuen Sprache eine eigene Stimme und eigenen Stil erst ausbilden muss. Omid Rezaee stammt aus dem Nordwesten Irans, war dort mehrfach inhaftiert und konnte 2014 über die Türkei nach Deutschland fliehen. Heute versorgt er über eine eigene deutschsprachige Website seine Mitmenschen mit einer alternativen Berichterstattung über den Iran.

Nach etwa einer Stunde bittet Daniela den Schriftsteller und Herausgeber Reimer Boy Eilers auf die Bühne. Beide kennen sich seit Danielas aktiver Zeit beim VS Hamburg, deren Landesvorsitzender Eilers damals war. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Helgoland. Ob Wort (Lyrik wie Prosa), Musik, Performance, Gestaltung – Reimer Boy Eilers weist ein breites künstlerisches Spektrum auf. Im Laufe seines Schaffens hat er verschiedenen Schriftsteller-Vereinigungen angehört und wurde mit etlichen Preisen ausgezeichnet. Zur Entstehung des Buches „FLUCHTPUNKT HAMBURG. Texte im Exil“ erklärt Eilers, dass der VS Hamburg eine Publikationsplattform für geflüchtete Kollegen und Kolleginnen bieten wollte. So entstand die Anthologie, die der VS Hamburg Anfang 2018 veröffentlichte. Auf 380 Seiten versammelt das Werk die literarischen Stimmen von 22 Autor*innen, von denen die meisten in Hamburg eine Bleibe gefunden haben. „Über zwei Jahre intensiver Arbeit stecken in dem Projekt“, sagt Eilers. Es sei zunächst nicht einfach gewesen, den Kontakt zu den geflüchteten Autor*innen herzustellen. Auch die Texte übersetzen zu lassen, sei eine Herausforderung gewesen, die in Zusammenarbeit mit dem bundesweiten Netzwerk des VS – Verband der deutschen Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ver.di bewältigt werden konnte: Um jedes Wort wurde gerungen – und dennoch: mancher Text, den geflüchtete Autor*innen direkt auf Deutsch geschrieben hatten, durfte und sollte seine Sperrigkeit und Besonderheit behalten.

Den Abend beschließt eine Lesung aus dem neuen Exil-Projekt LEBEN ERZÄHLEN SCHREIBEN: Der in Osnabrück lebende Bakri Ahmad Al Bsher (Sudan) stellt auf Arabisch drei aufwühlende Abschnitte aus seiner Reihe „Lost Souls“ vor: Das Publikum erhält in der Live-Übersetzung durch Hassan Numan (Sudan) ins Englische Einblicke in Al Bshers Fluchtgeschichte, an deren einzelnen Stationen in Libyen und über das Mittelmeer er Not und Gewalt erleben musste. Jede „lost soul“ steht für ein Kapitel seines Schreibprojekts – und viele Tote, die er auf der Flucht sehen musste.

Weitere Beiträge