Anfang September hat sich das Exil-Team vergrößert: Maria Neunteufel ist nun gemeinsam mit Lara Benteler zuständig für das Projekt „Mach’s doch selbst! – Inklusives Engagement im Kontext Flucht fördern und stärken“. Klaus Stakemeier sprach mit ihr über die neue Aufgabe und ihr bisheriges Engagement.
Klaus: Maria, du hattest dich auf die Stellenausschreibung „Mach‘s doch selbst!“ – ein von der „Aktion Mensch“ gefördertes Exil-Projekt zur Stärkung des Ehrenamts – beworben. Was stand in der Aufgabenbeschreibung, das dein Interesse weckte?
Maria: Nachdem mir mehrere Personen den Link zur Stellenausschreibung geschickt haben mit den Worten: „Das ist doch was für dich!“, habe ich mir die Ausschreibung in Ruhe durchgelesen. Mir fiel positiv auf, dass Exil das Narrativ geändert hat. Geflüchtete werden hier nicht als passiv und hilfsbedürftig gesehen, sondern als aktive Akteur*innen mit Talenten und Fähigkeiten. Ich bin seit jeher ein Mensch, der andere Menschen darin unterstützt, aktiv zu werden und das jeweilige Können auch zu präsentieren. Menschen, die im Asyl(un)rechtssystem stecken, werden diese Fähigkeiten abgesprochen und somit glauben viele irgendwann, wirklich nichts mehr zu können. Das Projekt „Mach’s doch selbst!“ will diesem Phänomen Einhalt gebieten und das möchte ich gerne unterstützen.
Klaus: Mit Lara Benteler seid ihr nun zwei, die das Projekt koordinieren. Das lässt vermuten, dass es viel zu tun gibt. Stimmt das?
Maria: In Osnabrück leben über 150.000 Menschen – in meinen Augen alles potenzielle Ehrenamtliche. Um also deine Frage zu beantworten: Ja, es gibt viel zu tun. Ich sehe das mit dem Ehrenamt so: Die meisten Menschen müssen nicht animiert werden, aktiv zu werden. Diejenigen, die irgendwann zu sich sagen „Ich mache jetzt was!“ fangen auch an, nach etwas zu suchen. Meine Aufgabe besteht darin, bei dieser Suche zu helfen. Was macht dir Freude? Was möchtest du gerne erreichen mit deiner ehrenamtlichen Tätigkeit? Exil hat ein vielfältiges Angebot: Da gibt es zum Beispiel die Gruppe commYOUnication, die beim alltäglichen Sprechen unterstützt und dabei hilft, neue Leute kennenzulernen. Dann gibt es das Projekt FreiZeit für Flüchtlingskinder, das den Kindern in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Möglichkeit gibt, ihren Alltagsstress zu vergessen, indem sie unbeschwert spielen können und Ausflüge miterleben. Neben dem Schaffen von Freizeitangeboten gibt es auch die Möglichkeit, Menschen zu unterstützen, die zum ersten Mal eine Bewerbung schreiben wollen. Der Aufbau einer solchen Bewerbung in einer neuen Sprache kann zu einer ganz schönen Herausforderung werden, da ist es gut, wenn es Unterstützung gibt. Auch Menschen, die mehr als nur Deutsch sprechen, sind genau richtig im Ehrenamt. Ohne die Unterstützung von Übersetzer*innen wäre die Arbeit von Exil nicht möglich. Und das war nur ein kleiner Ausschnitt der Möglichkeiten, ehrenamtlich bei Exil tätig zu werden. Das alles muss koordiniert werden und dafür gibt es Lara und mich.
Klaus: Gut, mir leuchtet ein, dass die Betreuung unserer ehrenamtlichen Gruppen, die du gerade nanntest, und ihrer vielen ehrenamtlichen Mitarbeitenden viel Arbeit erfordert. Wollt ihr das Gebiet der Ehrenamtsarbeit auch weiter ausbauen und könnt ihr euch auch neue Projekte vorstellen – und wie wollt ihr das anpacken?
Maria: Im Fokus steht die Stärkung des Ehrenamts. Das beinhaltet die bestehenden Strukturen und ehrenamtlich Tätigen weiter zu unterstützen. Zusätzlich sollen neue Möglichkeiten geschaffen werden, sich ehrenamtlich einzubringen. Viele Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, sind zur Untätigkeit gezwungen. Die restriktive Gesetzeslage lässt es nicht zu, dass sie einer Erwerbsarbeit nachgehen dürfen. Aber diese Menschen wollen arbeiten. Und da Arbeiten nicht nur Geld verdienen heißt, sondern vor allem Tätigsein bedeutet, wollen sich viele auch unentgeltlich in ihre neue Gemeinschaft einbringen. Dabei versuche ich so gut es geht zu unterstützen.
An dieser Stelle möchte ich noch eine weitere Perspektive auf das komplexe Thema „Ehrenamt“ aufzeigen: Ehrenamt ist eine Form der demokratischen Teilhabe. Es birgt die Möglichkeit, sich kreativ in eine Gemeinschaft einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Positiv auf sein Umfeld einwirken schafft Zufriedenheit – das ist quasi der Lohn des Ehrenamts. Aber die Ressource Engagement wird staatlich ausgenutzt und als Lückenbüßerin für eine verfehlte Politik missbraucht. Dieses Abwälzen von Aufgaben auf Individuen, für die der Staat verantwortlich wäre, muss ich bei meiner Arbeit im Blick haben und die Strukturen, die ich schaffe, stets kritisch hinterfragen, um dieser Ausbeutungslogik nicht in die Hände zu spielen.
Klaus: Und worin siehst du für dich deine Hauptaufgabe?
Maria: Neben dieser Orientierungshilfe durch konkretes Nachfragen, worin die persönlichen Interessen liegen, sehe ich auch meine Aufgabe darin, den Ehrenamtlichen zu jeder Gelegenheit Wertschätzung auszusprechen. Es ist ein Akt der Solidarität, wenn sich Menschen über ihre eigenen Interessen hinaus für etwas einsetzen und Menschen und Projekte unterstützen. Das verdient meiner Meinung nach Dank und ich bin sehr gut im Danke sagen.
Außerdem soll ja durch das Projekt „Mach’s doch selbst!“ verstärkt Menschen mit Fluchterfahrung der Zugang zum Ehrenamt ermöglicht werden. Um dafür den Weg zu ebnen, benötigt es einen Austausch zwischen mir und den potenziellen neuen Ehrenamtlichen. Ganz konkret heißt das, die Menschen aktiv zu adressieren, indem ich sie kontaktiere und ihnen ihre Möglichkeiten aufzeige, in der Hoffnung, Interesse zu wecken. Diese Herangehensweise unterscheidet sich jetzt nicht groß davon, wie ich alle potenziellen Ehrenamtlichen zu erreichen versuche. Doch anders ist, dass die Menschen mit Fluchterfahrung nicht so leicht zu erreichen sind, da viele von ihnen in Lagern und Gemeinschaftsunterkünften leben müssen. Diese befinden sind außerhalb oder am Rande der Stadt und sind nicht oder nur schwer zugänglich. Das macht es schwierig, aber nicht unmöglich – Hürden sind dafür da, genommen zu werden.
Klaus: Bei aller Schwierigkeit, Menschen mit Fluchterfahrung für die Gruppenarbeit zu gewinnen, gibt es nicht doch längst Beispiele für die gelungene Zusammenarbeit?
Maria: Von jeher haben sich Menschen mit Fluchterfahrung gegenseitig unterstützt. Das konnte ich in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit an unterschiedlichen Stellen sehen. Zum Beispiel bei commYOUnication. Da haben Teilnehmende den anderen in den Lagern Bescheid gesagt und gemeint „Komm da mal mit, da kannst du Deutsch sprechen üben“. Oder während meiner Tätigkeit in der Familiennachzugsberatung, wenn Freunde und Bekannte mitkamen, um zu übersetzen. Das war alles auf freiwilliger und ehrenamtlicher Basis. Durch meinen Aktivismus in der Gruppe No Lager Osnabrück weiß ich, wie schwierig es ist, Vertrauen zu gewinnen. Menschen, die aktiv vom Asyl(un)recht betroffen sind, müssen ja doppelte Arbeit leisten. Einmal, sich an die neue Umgebung und Erwartungshaltung gewöhnen und zum anderen achtsam dabei sein, sich nicht ausnutzen zu lassen. Die meisten müssen in Lagern leben mit anderen Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben. Wenn sie Kontakt zu Menschen haben, die nicht geflohen sind oder keinen Asylantrag gestellt haben, dann sind das meist Menschen, die in Behörden arbeiten. Ich bekomme oft erzählt, wie entwürdigend sich solch ein Behördenbesuch anfühlt. Die Menschen fühlen sich als Nummer behandelt, nämlich unpersönlich. Wenn man nur einen solchen Umgang gewöhnt ist, ist es doch verständlich, mit einer gesunden Portion Misstrauen in weitere Begegnungen zu gehen. Das zu wissen, bedeutet für mich in meiner Arbeit also darauf zu hoffen, dass ich einen Vertrauensvorschuss bekomme und zu beweisen, dass es mir ein ernstes Anliegen ist, die Menschen in ihren Vorhaben zu unterstützen.
Klaus: Maria, schon früher habe ich dich als lautstarke Verfechterin für Flüchtlings- und Menschenrechte – sei es bei Demonstrationen oder Podiumsdiskussionen – kennen- und schätzen gelernt. Woher kommt dein spezielles Interesse für die Rechte geflüchteter Menschen? War auch deine Kindheit, Elternhaus, schulischer Werdegang oder Wohnsitzwechsel prägend für deine Einstellung?
Maria: Ich würde sagen ja, das hängt mit meiner eigenen Geschichte zusammen. Ich bin in der ehemaligen DDR geboren. Auch wenn 2 ½ Jahre nach meiner Geburt die sogenannte „Wiedervereinigung“ war, bin ich mit den Geschichten meiner Mutter über die DDR groß geworden. Für mich war irgendwann klar, dass, hätte ich weiterhin in diesem Regime leben müssen, Flucht eine reale Option gewesen wäre. Demnach war ich schon früh für Fluchtgeschichten sensibilisiert. Menschen verlassen nicht einfach so ihre Heimat, sondern aus bestimmten Gründen und die gilt es zu respektieren – PUNKT!
Mit acht Jahren bin ich nach Siegen in NRW gezogen und hatte da eine Grundschullehrerin, die noch sehr stark im Ost-/West-Denken verankert war. Sie meinte irgendwann mal zu meiner Mutter und mir in einer Elternsprechtagssituation: „Ich mag Sie und Ihr Kind nicht, weil sie Ossis sind.“ Viele lachen darüber und es ist ja auch lachhaft, dass Menschen sich von einer Konstruktion wie der Nationalität so leiten lassen, dass sie eine Mutter und ein Kind beleidigen. So lachhaft es ist, sollte es uns endlich Ernst sein, mit dem Gebot, negativ konnotierte Begriffe wie „Ossi“, „Ausländer*in“ und sogar „Migrant*in“ zu entlernen.
Was meinen Drang nach Gerechtigkeit angeht, muss ich auch wieder auf meine Mutter verweisen. Kinder lernen ja, indem sie adaptieren. Meine Mutter war und ist mir ein gutes Vorbild, indem sie offen und neugierig auf Menschen und Situationen zugeht. Ich habe nie meine Mutter sagen hören: „Ich kann das nicht.“ Sondern sie immer machen sehen. Aus dieser pro-aktiven Haltung und diesem Optimismus ist wohl mein Leitspruch entstanden „Geht nicht – gibt’s nicht“.
Klaus: Dein Name wird von vielen in der Geflüchtetenhilfe Engagierten schon länger mit Exil in Verbindung gebracht. Gab es also schon früher Verbindungen zu Exil?
Maria: Ich bin im Oktober 2014 nach Osnabrück gezogen. Die Liebe hat mich in diese Stadt geführt. Da Luft und Liebe allein mich nicht erfüllt haben, habe ich geguckt, was ich in Osnabrück Sinnvolles tun kann. Vor Osnabrück habe ich in Italien gelebt und war in einem sozialen Zentrum zu Gast, indem es auch Sprachkurse für Newcomers gab. Neben dem Sprachangebot gefiel es mir auch, meine Freizeit mit anderen verbringen zu können. Als ich dann auf Exil aufmerksam wurde, habe ich mich an meine eigene Situation in Italien erinnert gefühlt. Also habe ich eine E-Mail geschrieben und gesagt, dass ich den Verein gerne unterstützen möchte und ob es eine konkrete Aufgabe für mich gibt. Daraufhin hat sich die damalige stellvertretende Vorsitzende Maria Braig gemeldet und sich mit mir getroffen. Nach einem sehr schönen, diskussionsreichen Treffen stand fest, der Verein braucht Unterstützung bei der Öffentlichkeits- und Kulturarbeit. Und so ist die Arbeitsgruppe Öffentlichkeits- und Kulturarbeit entstanden. Somit bin ich seit nunmehr vier Jahren auf unterschiedliche Weise bei Exil aktiv.
Klaus: Mit meinem Dank an dich für die Teilnahme an diesem Interview stelle ich dir drei letzte Fragen: Was läuft zurzeit gut in der Flüchtlings- und Integrationspolitik? Was geht deiner Meinung nach gar nicht? Was wäre dringend notwendig?
Maria: Zunächst würde ich sagen, dass es nicht die eine Flüchtlingspolitik und/oder Integrationspolitik gibt, sondern viele. Und da fängt die Komplexität nämlich auch schon an. Der öffentliche Diskurs ist ja sehr stark davon bestimmt, was Berufspolitiker*innen meinen. Da wird über Sachverhalte gesprochen, die bestimmte Lebensrealitäten beeinflussen und verändern. Das Irrwitzige ist, dass diejenigen, die das betrifft, also deren Leben planbar gemacht werden soll, nicht mit einbezogen werden. Das hat System. Und dieses System ist auf Strafe statt Solidarität ausgerichtet. Diesen politischen Fehltritt versuchen viele Menschen zu korrigieren. Und mit viele meine ich Tausende. Erst jetzt am Samstag (29. September) war eine der größten anti-rassistischen Demos, die Deutschland je erlebt hat. 30.000 Menschen haben sich für solidarische Strukturen stark gemacht. Das ist ein wichtiges Zeichen und gibt Menschen, die aktiv gegen Abschiebungen, gegen rassistische Polizeigewalt und staatliche Willkür kämpfen, viel Kraft zum Weitermachen.
Was meiner Meinung nach gar nicht geht, ist die Tatsache, dass Mut und Engagement kriminalisiert und dämonisiert werden. Ganz im Konkreten heißt das, dass Menschen, die freiwillig und ehrenamtlich versuchen, Leben zu retten – sei es im Mittelmeer oder indem sie Abschiebungen verhindern – von staatlicher Seite daran gehindert werden, ja sogar bedroht werden, dass wenn sie weiterhin verantwortungsvoll handeln, mit Strafe zu rechnen haben. Deswegen ist es dringend notwendig, dass die Welle der Solidarität nicht bricht und Menschen weiterhin „MUTiviert“ bleiben, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen und sich entschieden gegen repressive und menschenverachtende Strukturen stellen.