„Die Arbeit mit den Frauen hat mir ein Zuhause gegeben“

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Seit 1986 bringt die Internationale Frauengruppe Frauen unterschiedlicher Nationalitäten zusammen – Exil-Mitarbeiterin Mina Oubelouali erzählt, wie 190 Frauen für sie „ein Ort zum Zuhause-Fühlen“ wurden

Seit Januar 2022 leitet die 34-jährige Mina Oubelouali die „Internationale Frauengruppe“ von Exil e.V. Die Gruppe wurde 1986 von ihrer Vor-Vor-Vorgängerin, der Sozialarbeiterin Ruth Gonzalez, ins Leben gerufen. Die Gruppe ist damit älter als der Verein selbst und fester Bestandteil unserer Arbeit. Jede interessierte Frau mit oder ohne Migrations- und Fluchterfahrung kann der Internationalen Frauengruppe beitreten. Ziel ist es, Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft Kontakte zu anderen Frauen aus Osnabrück zu ermöglichen, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam Freizeit zu gestalten. Kochen, Tanzen, Lachen oder Ausflüge ins Museum, zu Konzerten oder in den Botanischen Garten gehören zu den regelmäßigen und viel besuchten Aktivitäten.

Im Gespräch mit Laura Baumann, Fundraising-Mitarbeiterin von Exil, erzählt Mina Oubelouali von ihrer Geschichte und warum sie ohne die Internationale Frauengruppe nicht der Mensch wäre, der sie heute ist:

Laura: 190 Frauen unterschiedlicher Herkunft, das klingt nach viel Spaß, aber auch nach hoher Lautstärke und vielen unterschiedlichen Talenten und Bedürfnissen. Wie gestaltet sich deine Arbeit mit so vielen verschiedenen Persönlichkeiten?

Mina: Laura, ich liebe genau das! Glaub es mir – dieses Laute, dieses Bunte und die Faszination und der Respekt für die einzelnen Schicksale und Lebenswege der Frauen, die oft schreckliche Dinge erlebt haben und trotz allem stark und mutig sind. Ich weiß, das klingt klischeehaft, aber ich kann dir sagen, dass es genau diese Frauen sind, die mich jeden Tag motivieren, das Beste aus meinem Leben zu machen.

Laura: Das heißt, du gehst gerne zur Arbeit?

Mina: Ja, ich bin für meine Arbeit sehr dankbar. Ich spüre eine innere Zufriedenheit und Glück in mir. Im Alltag habe ich als Leiterin viele administrative Aufgaben, die ich als Mama von zwei kleinen Kindern – dank Exil – im Homeoffice erledigen kann. Ich organisiere Veranstaltungen und Workshops, koordiniere Ausflüge und gebe Sprechstunden zu Fragen des alltäglichen Lebens. Also Fragen wie: „Wie melde ich meine Kinder beim Kindergarten und in der Schule an?“, „Ist mein Lebenslauf so richtig und gut?“, „Was steht in diesem Brief von der Behörde?“. Das sind ein paar der Fragen, die mich in meiner Arbeit beschäftigen.

Laura: Gibt es eine Aktivität mit den Frauen, die dir in besonderer Erinnerung geblieben ist?

Mina: Ja. Vor kurzem hatten wir einen ganz tollen „Häkelworkshop“ unter Anleitung unseres Mitglieds Katharina Nolte. Viele Frauen haben sich dafür angemeldet und gemeinsam haben wir gehäkelt. Jede konnte am Ende ein Kuscheltier mit nach Hause nehmen. Meinen Hasen habe ich meinem Sohn geschenkt. Bei solch einem Workshop passiert so viel mehr als nur die Handarbeit. Wir alle kommen ins Gespräch, erzählen von unserem Alltag, unseren Erfolgen und Sorgen, von der Sehnsucht nach der Heimat. In Gesprächen helfen wir Frauen uns untereinander und können oft mit einem leichteren Herzen nach Hause gehen. Und dieses Gefühl bestätigen mir auch meine Frauen!

Laura: Heimat, sagtest du. Das ist für dich Marokko, stimmt’s? Du hast selbst Fluchterfahrung, wie war das Ankommen in Osnabrück? Magst du etwas von dir erzählen?

Mina: Ja das stimmt. Marokko ist meine Heimat und der Ort, an dem eine Hälfte meines Herzens liegt. Die andere ist hier bei meinem Mann und meinen Kindern.

Laura: Warum habt ihr Marokko verlassen?

Mina: Das ist für mich sehr schwer, darüber zu reden. Ich erzähle dir lieber, wie es war, als ich vor fünf Jahren hier nach Deutschland kam. Das war im Winter 2016, da musste ich erst einmal Deutsch lernen. Mein Mann hatte schon einen Aufenthaltstitel in Osnabrück und ich bin mit meiner Tochter, die damals noch sehr klein war, zu ihm geflohen. Und die erste Zeit war wirklich hart. In Marokko hatte ich zuvor einen Master für Fachkommunikation und eingebettete elektronische Systeme gemacht. Parallel dazu machte ich noch mein Diplom als Ingenieurin im Studiengang Netzwerktechnik und Telekommunikation. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits schwanger mit meiner Tochter.

Laura: Das stelle ich mir super anstrengend vor

Mina: Ja, das war es auch, aber ich wusste, dass es das Richtige für uns ist. Nachdem ich meine Tochter zur Welt gebracht hatte, ging ich in Elternzeit, gab aber gleichzeitig Studierenden im Bereich Informatik Nachhilfe. Danach war ich zwei Jahre lang Dozentin an einer Privatschule für Informatik – dann kam ich nach Osnabrück. Über eine Bekannte, die ich beim Deutsch-Integrationskurs kennengelernt hatte, erfuhr ich von Exil und der „Internationalen Frauengruppe“. Schon nach meinem ersten Besuch war mir klar: Da will ich auch mitmachen! Als Ehrenamtliche habe ich mich dann gut ein Jahr bei Exil engagiert und das Zusammensein mit den Frauen genossen, bevor ich dann dieses Jahr gefragt wurde, ob ich die Leitung übernehmen will. Nadine, eine ehemalige Mitarbeiterin und Freundin von Exil und Sara, unsere Geschäftsführerin, sagten mir, dass ihnen nicht nur meine Arbeit und meine Erfahrung imponiert, sondern dass sie auch meine Interaktion mit den Frauen schätzen. Ich glaube, mir kam zugute, dass ich vier Sprachen spreche. Arabisch, Französisch, Englisch und Deutsch. Durch Gespräche in der Muttersprache, habe ich oft einen viel direkteren Kontakt zu meinen Frauen. Viele kennen mich noch als Teilnehmerin der Gruppe, die ich ja zuerst war, dann engagierte ich mich selbst ehrenamtlich und half den Frauen bei den unterschiedlichsten Dingen im Alltag und seit Januar bin ich nun Leiterin der „Internationalen Frauengruppe“. Und das ist so toll, Laura. Jetzt kann ich mein eigenes Geld verdienen, selbstbestimmt sein, meinen Mann entlasten und das tun, was mich glücklich macht!

Laura: Wow. Großer Respekt vor deiner Leistung, und das innerhalb von nur fünf Jahren! Großartig! – Du hast gerade gesagt, dass die Arbeit dich jetzt glücklich macht. Was genau meinst du damit?

Mina: Danke. Ja, die Arbeit mit den Frauen hat mich verändert, mir ein Zuhause gegeben. Ich fühlte mich anfangs so allein und so weit weg von meiner Heimat. Mein Mann war viel arbeiten und ich war mit unserer Tochter allein. Ich konnte ein bisschen Deutsch, hatte aber keine Freunde in Osnabrück und nur wenige Bekannte. Mir fehlten ein richtiger Freundeskreis und ein geregelter Tagesablauf. Und dann kam die „Internationale Frauengruppe“ und ich wusste, das ist mein Ort – mein Zuhause. Als ich dann später gesehen hab, dass „Ein Ort zum Zuhause-Fühlen“ auch der Slogan von Exil ist, hab‘ ich gedacht: Mina, das war Schicksal!

Laura: Mina, diese Frage muss ich dir nach allem jetzt aber doch noch stellen: Siehst du dich als Vorbild für andere Frauen in einer ähnlichen Situation?

Mina (lacht): Für meine Kinder hoffe ich, dass ich ihnen ein gutes Beispiel abgebe, eine Orientierung, in der Hinsicht, als dass sie an mir sehen können, wie man mit schwierigen Situationen im Leben umgehen kann. Mein Rezept ist da aus vielen Zutaten zusammengemischt, die für mich meinen „Erfolg“ ergeben: Zum einen braucht es Bildung und den Willen nach Veränderung, denke ich, und ein Bewusstsein für sich selbst, weil man damit in der Lage ist, seine Wünsche und Bedürfnisse klar zu kennen und aktiv für sich eintreten kann. Was aber genauso wichtig ist, ist die Offenheit und Bereitschaft, Hilfe anzunehmen und anderen zuzuhören. Das habe ich selbst immer getan. Ich habe Hilfsangebote immer als Geschenk gesehen, die ich bewusst annehme, und für die ich mich alsbald mit einer ähnlichen Aktion oder Erfahrung erkenntlich zeigen kann. Und weißt du, das beschreibt für mich das Besondere der „Internationalen Frauengruppe“: Ohne dass es eine der Frauen je aussprechen würde, gibt es da diesen Zyklus: Ich nehme Hilfe an und im nächsten Moment kann ich selbst Hilfe geben. So ist man nie in einer unterwürfigen Position. Und das muss ich sagen, ist auch die Einstellung, die die Menschen bei Exil schon zu meinen Anfängen im Verein, vertreten haben. Ob ich da ein Vorbild bin? In meinem Fall vielleicht, aber auch eben nur eines unter 190 tollen und wirklich starken Frauen.

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Die nächsten Aktivitäten „Internationalen Frauengruppe“ im Juli:

10.07.22: Kinotag für Kinder

16.07.22: Entspannungskurs für Frauen

17.07.22: Museumsbesuch in Osnabrück

23.07.22: Ausflug zum Naturbad in Vörden

Neugierig geworden? Die Gruppe trifft sich ein Mal im Monat, donnerstags in der Lagerhalle Osnabrück und freut sich über Frauen jeden Alters, die Lust haben, an der Gruppe teilzunehmen. Jede ist willkommen. Wer Interesse hat, kann sich gerne per E-Mail bei Mina unter mina.oubelouali@exilverein.de melden.

In der Reihe „Menschen im Exil“ stellen wir anlässlich unseres 35-jährigen Bestehens Menschen vor, die wir durch unsere Arbeit dabei unterstützen konnten, in Deutschland nach ihrer Flucht wieder Fuß zu fassen und in Osnabrück einen Ort zum Zuhause-Fühlen zu finden. Das hätten wir ohne das Mitwirken unserer Mitglieder, Ehrenamtlichen und Spender*innen nicht geschafft. Dafür sagen wir ganz herzlich Danke!

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