Migrationsberatung: „Bekam so viel an Liebe und Wärme zurück“

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Perfekte Symbiose: Seit 20 Jahren unterstützt Yilmaz-Akürek-Preisträgerin Rosa Friesen Menschen im Exil – Eigene Migrationsgeschichte prägte Arbeit nachhaltig

Osnabrück, 23.10.2022. Fast 30 Jahre ist es her, dass Rosa Friesen mit ihrer Familie von Novosibirsk nach Deutschland kam. Ihr Mann hatte damals eine Anstellung beim Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in einer kleinen Stadt bei Magdeburg erhalten und musste viel arbeiten. Rosa blieb bei ihren beiden Söhnen Zuhause. Im Gespräch mit Exil-Mitarbeiterin Laura Baumann erzählt sie, wie ihre eigene Migrationsgeschichte nachhaltig ihre Arbeit geprägt hat und warum sie heute dafür dankbar ist.

Rosa: Die Anfangszeit in Deutschland war wirklich schwer. Ich war viel mit meinen Kindern und dem Haushalt beschäftigt und vor allen Dingen damit, möglichst schnell Deutsch zu lernen. (Rosa lacht und faltet ihre Hände.) Weißt du, Integration ist so wichtig: Kontakt zu anderen Menschen zu bekommen, die eine fremde Sprache sprechen und Freude am neuen Leben zu finden, das wollte ich unbedingt für mich und meine Kinder. Wir haben viele Ausflüge gemacht und uns unter die Leute gemischt. Die Kinder fanden schnell Freunde und so bekam auch ich Anschluss zu deren Mamas. Ja, und dann habe ich viel Deutsch gelernt, deutsche Zeitungen gelesen und einfach versucht, mich viel auf Deutsch zu unterhalten. Und was mir auch noch wichtig war, war eine Arbeit zu finden. (Rosa seufzt.) Das war nicht leicht. Ich bin ausgebildete Biologie- und Geographie-Lehrerin und wollte mich erst einmal ehrenamtlich für Menschen engagieren, einen Fuß in die Tür kriegen und etwas Nützliches machen. So hat meine Karriere in der Integrationsarbeit begonnen.

Laura: Wie war damals der Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt für dich?

Rosa:  Schwer, Laura. Es war nicht leicht. Was soll ich sagen, aber es lohnt sich, das wusste ich. Meine Kolleg*innen waren immer sehr hilfsbereit und ich habe viel gelernt und gearbeitet und zwischendrin wurde mein Deutsch immer besser. Das hat auch meine Arbeit bei Exil nachhaltig geprägt. Für Menschen, die gerade neu Deutsch lernen, braucht es keine schönen Sätze oder detaillierte Erklärungen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Es geht darum, Punkt für Punkt aufzuschreiben, welche Unterlagen und Informationen z.B. das Arbeitsamt benötigt. Freundlich sein und Ruhe bewahren und genau wissen, wer in welcher Behörde was braucht, das ist wichtig. Ich konnte Menschen helfen, ihre Dankbarkeit erleben und bekam so viel an Wärme und Liebe zurück. Deswegen habe ich immer weitergemacht und im Laufe der Zeit verschiedenen Beratungsstellen und Hilfsorganisationen mit meinem Wissen unterstützt. Einige Jahre war ich z.B. Mitglied des Internationalen Frauennetzes Osnabrück e.V., dem IFO. Die Menschen vom IFO haben mich sehr unterstützt. Dank ihnen konnte ich eine Ausbildung zur Elterntrainerin für Migrant*innen erfolgreich beenden und auch das hat mich nachhaltig motiviert in meiner pädagogischen Arbeit. Das IFO hat mich auch für den Yilmaz-Akyürek-Preis vorgeschlagen. Ihr Vertrauen in mich hat mich sehr bestärkt und dafür bin ich wirklich dankbar! Ja, und dann habe ich u.a. den Anstoß für den Willkommenstag der Stadt Osnabrück gegeben, mit dem die Stadt einmal im Jahr Migrant*innen begrüßt. Und ich habe mich beim Verein für die Arbeit mit Zuwandererkindern (VPAK) engagiert – der ist ja auch in Osnabrück. Ja genau, insgesamt habe ich viel in Integrationsprojekten gearbeitet.

Laura: Ein ganz schön breites Feld. Das war im Jahr 2000, als du mit deiner Familie nach Osnabrück umgezogen bist, stimmt’s?

Rosa: Ja, dass das schon über 20 Jahre her ist! (Rosa lacht.) So schnell vergeht die Zeit. Weil ich zuerst keine feste Anstellung gefunden habe, habe ich gleich mit der ehrenamtlichen Arbeit weitergemacht. Im gleichen Jahr kam ich dann auch zu Exil, durch die Sozialarbeiterin Ruth González. Sie hat 1986 die Internationale Frauengruppe gegründet. Die Gruppe ist damit älter als Exil selbst und fester Bestandteil unserer Arbeit. Jede interessierte Frau mit oder ohne Migrations- und Fluchterfahrung kann der Internationalen Frauengruppe beitreten. Das habe ich gemacht. Auch hier war ich erst ehrenamtlich tätig, im Bereich EDV. Dann habe ich bei Exil ehrenamtlich Kinder in der Landesaufnahmebehörde Bramsche-Hesepe betreut und ihnen bei den Hausaufgaben geholfen, Gespräche geführt, Arztbesuche mit begleitet und ich war als Übersetzerin tätig. Dann habe ich erst auf Minijob-Basis bei Exil angefangen in der Frauenberatung. Danach bin ich auf Teilzeitbasis eingestiegen, in die Migrationsberatung und seit 2019 arbeite ich Vollzeit in dem Bereich. (Rosa hält inne. Langsam zieht sich einer ihrer Mundwinkel nach oben.) Rosa und Exil – unsere Liebe hält seit über 20 Jahren!

Laura:  Beeindruckend! Was macht deine Liebe zu Exil aus, Rosa?

Rosa: Bei Exil arbeiten besondere Menschen, ja das finde ich. So viele kompetente Menschen mit einem guten Herzen und alle auf einem Haufen, das sieht man nicht oft! Ich liebe einfach meine Arbeit und das, was ich von den Menschen zurückbekomme. Und bei Exil ist eine unglaublich gute Arbeitsatmosphäre. Hier kann jeder so bleiben, wie er ist. Und wir haben immer viel zu tun. Wenn ich an mein Biologiestudium denke, fällt mir da immer das Bild der „Symbiose“ ein. Ja, so ist das für mich bei Exil und deswegen bin ich so gerne hier, weil unser Wirken für uns beide vorteilhaft ist.

Laura: Auf dich geht einiges zurück, was heute zum selbstverständlichen Angebot für Migrant*innen in Osnabrück gehört: Ganz am Anfang hattest du es schon erwähnt: Für dein Engagement wurdest du 2015 mit dem Yilmaz-Akyürek-Preis ausgezeichnet, wie war das?

Rosa: Das war wunderbar-komisch! Der Preis wird jährlich an engagierte Menschen verliehen, die sich für die Integration und Gleichberechtigung von Zugewanderten einsetzen sowie die Anerkennung der Kulturen vorantreiben und unterstützen. Ich habe mich sehr gefreut, wirklich, aber ich stehe eigentlich nicht gerne im Mittelpunkt. Mir hat es nochmal gezeigt, dass ich das Richtige mache. Aber ich finde, dieser Preis gebührt nicht nur mir, sondern allen haupt- und ehrenamtlich Engagierten im Bereich Integration, weswegen ich ihn stellvertretend entgegengenommen habe.

Laura: Großen Respekt vor deiner Leistung, liebe Rosa, wir sind froh, dass du schon so lange Teil von Exil bist!

Rosa: Danke, das bin ich auch. Ja, und seit dem 1. Juni dieses Jahres leite ich das Projekt „Kompetent beraten – sicher starten“. Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche aus der Ukraine und deren Angehörige, die in der Stadt Osnabrück ankommen. Wir setzen uns dafür ein, dass Familien sicher aufgefangen werden und in einer kind- und jugendgerechten Umgebung leben können. Und das Projekt läuft gut, viele Anfragen kommen. Das zeigt uns, wie groß der Bedarf ist und wie wichtig es ist, dass geholfen wird. Jeden Dienstag von 10 bis 16 Uhr und jeden Freitag von 10 bis 14 Uhr können Interessierte ohne Anmeldung in die Lagerhalle, Raum 208, kommen und eine kostenlose Beratung in Anspruch nehmen. Oder sie machen einen Termin – ganz einfach per E-Mail unter rosa.friesen@exilverein.de.

In der Reihe „Menschen im Exil“ stellen wir anlässlich unseres 35-jährigen Bestehens Menschen vor, die wir durch unsere Arbeit dabei unterstützen konnten, in Deutschland nach ihrer Flucht wieder Fuß zu fassen und in Osnabrück einen Ort zum Zuhause-Fühlen zu finden. Das hätten wir ohne das Mitwirken unserer Mitglieder, Ehrenamtlichen und Spender*innen nicht geschafft. Dafür sagen wir ganz herzlich Danke!

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