Über die Folgen, wenn wir Kriege „vergessen“ – Ein Kommentar zur Ungleichbehandlung von Geflüchteten
Osnabrück, 21. April 2022. Heftige Gefechte und Bombardierungen haben zu einer der schwersten humanitären Katastrophen der Welt geführt. Am schlimmsten trifft der Krieg die Zivilbevölkerung. Täglich sterben Menschen und Kinder, viele von ihnen an indirekten Kriegsursachen wie Krankheiten und Hunger. Die Rede ist vom Jemen.
Überrascht es Sie, an dieser Stelle das Wort „Jemen“ statt „Ukraine“ zu lesen?
Medial finden die Kriege im Jemen, Somalia, Afghanistan, Nigeria, Syrien (ja, auch in Syrien herrscht noch Krieg) und vielen anderen Ländern der Welt nicht mehr statt. Warum ist das so? Und was sind die Folgen, wenn wir Kriege „vergessen“? Was macht das mit uns, unserer Menschlichkeit und den Menschen, die unter den Folgen der Kriege leiden, die wir „vergessen“ haben?
Leider hat sich in den vergangenen Wochen ein System entwickelt, das Geflüchtete in zwei Klassen unterteilt. Lassen Sie mich das kurz erklären:
Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes sagt: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Das bedeutet, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. Im Umgang mit Geflüchteten aber sind wir von dieser propagierten Gleichberechtigung weit entfernt. Für die deutsche Regierung und auch die Regierungen der europäischen Mitgliedstaaten scheint Krieg nicht gleich Krieg zu sein. Offenbar macht es einen Unterschied, wo die Bomben fallen.
Durch Aktivierung der EU-Massenzustrom-Richtlinie jedenfalls erhalten geflüchtete Ukrainer*innen sofort Zugang zu Aufenthalt, Sozialleistungen, Sprachkursen und dem Arbeitsmarkt und müssen kein Asylverfahren durchlaufen. Nach Beginn des Krieges in Syrien etwa wurde diese Richtlinie nicht aktiviert. Viele Geflüchtete hoffen seit Jahren auf eine Bleibeperspektive in Deutschland, eine Arbeitserlaubnis oder endlich einen Sprachkurs machen zu dürfen. Auch die Chance, eine Wohnung zu finden, ist aktuell für Menschen aus anderen Ländern deutlich schlechter als für Menschen aus der Ukraine.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich kritisiere nicht den Umgang mit den Menschen aus der Ukraine – im Gegenteil: Ich bin sehr froh, dass die Aufnahme so schnell und unbürokratisch erfolgt und dankbar für die große Hilfsbereitschaft. Was die Menschen in der Ukraine durchmachen, ist unfassbar grausam. Unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gehört allen Menschen aus der Ukraine, die unter dem Krieg leiden – gleichsam gelten sie auch allen Menschen, die Krieg und Gewalt anderswo auf der Welt erleben müssen.
Daher wünsche ich mir diese Behandlung für alle Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Denn: Wir sind alle Menschen – egal, in welchem Teil der Welt wir geboren wurden.
Unsere Beratungs-, Bildungs-, kulturellen und gesellschaftlichen Angebote stehen auch weiter allen Menschen offen – unabhängig von sozialer, kultureller oder religiöser Herkunft und dem offiziellen Aufenthaltsstatus.
Sara Josef, Geschäftsführerin