Von Leben zu Leben: Angekommen in Osnabrück

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Tariq

von Klaus Stakemeier

Brechend voll war es auf der Empore in der Lagerhalle, als am Donnerstagabend, 15. Februar, die Ausstellung „Von Leben zu Leben“ des syrischen Illustrators Tariq Alsaadi eröffnet wurde. Nachdem sein Mentor Manfred Blieffert von der Kunst- und Musikschule Osnabrück in seiner Begrüßung Werdegang und Inhalt der ausgestellten Bilder zu der geplanten Graphic Novel erklärt und Tariq in seiner Ansprache Dankesworte für die vielfältige Unterstützung gesprochen hatte, wurde es schon schwierig, an ein Gläschen Sekt oder Wasser zu kommen, vielmehr aber noch, in Ruhe seine feinen Zeichnungen zu bewundern, so viele Freunde und Bekannte hat Tariq bereits in Osnabrück.

Einige Tage später traf ich mich mit Tariq im „Café International“, das Exil alle zwei Wochen von 17 bis 19 Uhr im StadtGalerieCafé aufleben lässt, damit Geflüchtete und Einheimische Gelegenheit haben, sich bei einem Stück Kuchen und passendem Getränk kennenzulernen. Aus dem selben Anlass und an gleichem Ort sei es ihm gelungen, in Osnabrück heimisch zu werden, erzählt Tariq und lässt seine Gedanken zunächst zurück nach Damaskus schweifen. Sein heutiges Leben wurde entscheidend geprägt an der Faculty of Fine Arts der Universität Damaskus. Hier absolvierte er nicht nur die für den Bachelorabschluss nötigen acht Semester, sondern konnte parallel schon für einige Firmen und Verlage als Zeichner arbeiten. Dann sollte der Masterstudiengang mit Schwerpunkt Buchillustration in Angriff genommen werden. Aber während des ersten Studienjahrs für das Masterstudium verschlechterte sich die politische Situation in Syrien rasant. Schneller als gedacht stand der Entschluss fest, so schnell wie möglich zu fliehen. Ihm ging es wie vielen anderen, die nicht gleich persönlich von Verfolgung bedroht waren – es war eine unbeschreibliche Angst, die sich breit machte und die viele einfach nicht mehr aushielten.

Im Februar 2016 erreichte Tariq deutschen Boden. Die Erstaufnahme erfolgte in Bramsche-Hesepe und noch im Frühsommer desselben Jahres gings nach Osnabrück. Hier war eine seiner ersten Anlaufstellen das Café International. Die ersten Personen, die er dort kennenlernte, waren Doris Kube und Petra Koch. Beide betreuen das Projekt „Exil-Gardening“. Sofort war klar, dass er für sie einen Flyer entwarf. Bei einem der folgenden Café International-Besuche lernte er den Gitarristen Daniel Marciniak, Dozent an der Kunst- und Musikschule Osnabrück, kennen, der ihn mitnahm zur EMAF-Eröffnung. Hier wiederum machte er Bekanntschaft mit dem Dozenten für bildende Kunst und Drucktechniken, Manfred Blieffert, der Tariq ein Praktikum anbot. Von jetzt an eröffneten sich ihm vielerlei Möglichkeiten der Betätigung: Begleitung von Bliefferts Projekt „Abenteuer Kunst“ für Geflüchtete, Mitarbeit in den Musik- und Kunststunden verschiedener Kindergärten, Teilnahme an Performances in der Kunsthalle, wodurch er viele Kontakte zu Osnabrücker Kunstschaffenden herstellen konnte.

Zum Sommer 2017 hin waren sich Tariq und Manfred Blieffert einig: Tariq braucht eine Ausstellung. Schnell war die Idee geboren, Tariqs eigene Fluchtgeschichte zu illustrieren. Aber Tariq hatte zwischenzeitlich wahrgenommen, dass es überall in Deutschland längst etliche Präsentationen von Fluchtgeschichten gibt. Das wollte Tariq nicht. Auch wenn seine Geschichte mit der Revolution und dem Bürgerkrieg in Syrien beginnt und mit der Flucht nach Osnabrück endet, folgt er doch lieber der Idee, die Gesellschaft in Syrien abzubilden, wie vielfältig beispielsweise die Menschen ihr Leben gestalten, welche unterschiedlichen Vorstellungen von Formen des Zusammenlebens existieren, die Sehnsucht nach Freiheit und Gleichberechtigung nach westlichen Vorbildern, aber auch die Ängste vor Veränderungen oder Revolutionen. Tariq betont, dass er mit seiner Graphic Novel gleichermaßen Deutsche wie Syrer ansprechen will. Wer die Bilder zu der Graphic Novel mit der wilden Heldin Sarah, die sich gegen das Assad-Regime auflehnt, sehen möchte, sollte in den nächsten Tagen die Empore in der Lagerhalle aufsuchen.

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