von Sara Höweler
54 Prozent aller in Deutschland produzierter Kriegswaffen werden nicht in NATO- oder EU-Mitgliedsländer, sondern in Drittstaaten exportiert. Rüstungsgegner und Sachbuch-Autor Jürgen Grässlin, der auf Einladung von Exil am 2. November im StadtGalerieCafé einen Vortrag zum Thema „Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten“ hielt, kritisiert das aufs Schärfste: Eine Lieferung in Drittstaaten sei nur erlaubt, wenn Deutschland ein besonderes „außenpolitisches Interesse“ habe und keine Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Doch die Entscheidung darüber falle nicht demokratisch, sondern im nicht öffentlich tagenden Bundessicherheitsrat, der aus Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kanzleramtschef Peter Altmaier und sieben Bundesminister*innen besteht. Die tatsächlichen Lieferungen ließen Zweifel daran zu, ob Menschenrechte wirklich stärker gewichtet werden als Industrieinteressen. Aktuell auf Platz 1 und Platz 3 der Liste mit den meisten Kriegswaffenimporten aus Deutschland: Algerien und Saudi-Arabien. Ein vom Bürgerkrieg gebeutelter Staat, der nur auf dem Papier eine Demokratie ist und ein islamischer Gottesstaat, in dem Massenverhaftungen, Folter und Todesstrafe an der Tagesordnung sind.
Auch in Ländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak spielen deutsche Waffen und Rüstungsgüter eine große Rolle, so Grässln. Die deutsche Bundesrepublik ergreife dabei selten Partei, sondern liefere „zur Stabilisierung der Region“ bevorzugt Waffen an beide Seiten. Selbst der IS „schießt und mordet deutsch“ – zwar mit erbeuteten Waffen, aber es sei längst klar, dass „Waffen wandern“ und wer Waffen in Kriegs- und Krisengebiete liefere, müsse damit rechnen, dass damit Menschenrechtsverletzungen begangen werden.
Ohnehin sei bei der deutschen Waffenindustrie wenig moralisches Gewissen erkennbar: „Combat proven“ sei ein beliebter Werbeslogan, der nichts anderes bedeutet, als dass Waffen zum Beispiel in Palästina oder Afghanistan getestet wurden und ihre Tödlichkeit dort unter Beweis gestellt haben. Dass bei solchen „Waffen-Tests“ häufig auch Zivilisten sterben, kümmere die Verantwortlichen wenig. Als „Deutschlands tödlichstes Unternehmen“ bezeichnet er die Oberndorfer Firma Heckler & Koch, die überwiegend Kleinwaffen herstellt. Mit Gewehren würden rund zwei Drittel der meist zivilen Opfer in Bürgerkriegen und Kriegen erschossen. Allein 80 bis 90 Prozent der durch Schusswaffen getöteten Kurd*innen starben an einer Kugel aus dem Lauf von Heckler & Koch-Gewehren.
Waffenexporte seiden damit ein wichtiger Fluchtgrund. Das Perfide daran: „Die Menschen fliehen dorthin, wo die Waffen herkommen“. Unternehmen der Rüstungsindustrie seien auch an Grenzsicherungsanlagen beteiligt, die zur „Flüchtlingsabwehr“ in Saudi-Arabien und nordafrikanischen Staaten gebaut würden. Darüber will Grässlin aufklären und kämpft dafür an vielen Fronten: seine Gegner sind die Rüstungskonzerne, die Mitglieder des Bundessicherheitsrats und mittlerweile auch die deutsche Justiz, der er in einigen Fällen vorwirft, nicht zu ermitteln.
Grässlin ist Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft und hat u.a. den Menschenrechts-Preis von Amnesty International, den Aachener Friedenspreis und gemeinsam mit Filmemacher Daniel Harrich den Grimme-Preis für die Dokumentation „Tödliche Exporte – Wie das G36 nach Mexiko kam“ gewonnen.
Wer seinen beeindruckenden Vortrag verpasst hat, findet weitere Informationen auf www.juergengraesslin.com.