Als Träger der Betroffenenberatung Niedersachsen veröffentlichen wir an dieser Stelle eine Mitteilung von betroffenenberatung.de:
Angesichts des massiven Rechtsrucks fordert die Betroffenenberatung Niedersachsen eine deutliche Ausweitung der Schutzmaßnahmen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Denn gerade im Kontext der aktuellen migrationspolitischen Debatten fürchten manche Betroffene: Wer rechte Gewalt erlebt, wird sich womöglich immer weniger auf den Staat verlassen können.
Die Bundestagswahl am 23. Februar findet unter besorgniserregenden Vorzeichen statt: Nicht nur hat die Zahl rechtsextremer Straftaten im Jahr 2024 nach vorläufiger Zählung mit über 41.000 registrierten Delikten bundesweit einen neuen Höchststand erreicht – und dieser dürfte aufgrund der Nachmeldungen und der Dunkelziffer aller nicht gemeldeten Vorfälle noch höher ausfallen. Auch übertreffen sich selbst Parteien der demokratischen Mitte insbesondere im Diskurs um die Migrationspolitik mit immer radikaleren Forderungen. Dadurch wächst der Druck für all jene, die ohnehin von rechter Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen sind: Sie geraten noch stärker ins Visier rechter Akteur*innen.
Rechte Gewalt längst Alltag in Deutschland
Alle demokratischen Parteien sind nun gefordert, aktiv zu handeln und sich klar zu positionieren, denn: Wer mit Rechten paktiert, setzt nicht nur politische Prinzipien aufs Spiel, sondern gefährdet auch das Leben vieler Menschen. „Der Rechtsruck ist keine abstrakte Gefahr – er kostet Menschenleben. Denn rechte Gewalt ist längst Alltag in Deutschland, auch hier in Niedersachsen“, sagt Marlene Schriever, Projektleiterin der Betroffenenberatung bei einem der drei Trägervereine.
Rechte Einstellungen legitimieren rechte Gewalt
Mit Entsetzen und Sorge beobachtet die Betroffenenberatung deshalb das Erstarken rechter Parteien und Positionen. „Diese tragen wesentlich dazu bei, dass menschenfeindliche Ideologien salonfähig gemacht werden“, warnt Anna Eschbaum, Pressesprecherin der Betroffenenberatung. „Doch anstatt Betroffene besser zu schützen, erleben wir eine politische Debatte, die rechte Einstellungen immer weiter normalisiert und legitimiert.“ Ein Ausdruck dieser Normalisierung ist neben der zunehmenden Schwere der physischen Gewalttaten – wie etwa (versuchte) Tötungsdelikte sowie schwere oder gefährliche Körperverletzungen – auch die rechte Vereinnahmung von Popsongs im öffentlichen Raum. „Durch das Singen von rassistischen Parolen zur Melodie von bekannten Songs sind für Betroffene einmal mehr neue Angsträume entstanden“, erklärt Eschbaum weiter.
Massive Verschärfung der Lebensumstände für Betroffene
Für Betroffene bedeutet dies eine zusätzliche Verschärfung ihrer Lebensumstände: Neben der realen Gefahr physischer Angriffe ist das Gefühl der permanenten Unsicherheit nicht zu unterschätzen. „Betroffene verlassen nicht mehr das Haus, aus Angst, angegriffen zu werden“, meint Berater Constantin Schwarz. „Auch das ist ein Ziel rechter Raumnahme: Alle, die nicht in das völkisch-ideologische Weltbild der Rechten passen, aus der Öffentlichkeit zu vertreiben“, so Schwarz weiter. Dies betrifft vor allem Schwarze oder migrantisch gelesene Personen, doch auch queere Menschen und politisch Engagierte werden immer häufiger zur Zielscheibe rechter Angriffe.
Forderungen für besseren Schutz
Die zunehmende Bedrohungslage von rechts duldet keinen Aufschub – aus diesem Grund fordert die Betroffenenberatung Niedersachsen eine flächendeckende und konsequente Verbesserung von Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen für Betroffene und Beratungsstellen gleichermaßen:
- Konsequente Strafverfolgung
Wir fordern eine lückenlose Aufklärung rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten. Dies muss für Polizei und Justiz oberste Priorität haben. Rechte Gewalt muss klar als solche benannt, erfasst und konsequent verfolgt werden. - Stärkung des Opferschutzes
Wir fordern eine umfassende und verbindliche Strategie für den Schutz aller Betroffenen. Hier braucht es echte Schutzmaßnahmen, sichere Unterkünfte und einen erleichterten, unbürokratischen Zugang zu Entschädigungsleistungen. - Finanzielle Absicherung für Betroffenenberatungsstellen
Wir fordern eine langfristige, bedarfsgerechte und unabhängige Finanzierung, um die qualifizierte Beratung, Begleitung und Unterstützung von Betroffenen zu gewährleisten. - Schulung und Sensibilisierung von Justiz und Polizei
Wir fordern sensibilisierte Ansprechpartner*innen und regelmäßige Schulungen von Mitarbeiter*innen in Justiz und Polizei, um die spezifischen Ängste und Bedürfnisse von Betroffenen zu erkennen, sie ernst zu nehmen und ihnen empathisch zu begegnen. - Klares Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten
Wir fordern ein klares politisches wie gesellschaftliches Bekenntnis zum Schutz der Demokratie – sowie eine konsequente Absage an jede Form von rechter Gewalt, Ausgrenzung und Hetze.
Die bevorstehende Bundestagswahl im Februar bietet die Möglichkeit, ein deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus und für eine offene, vielfältige Gesellschaft zu setzen, in der alle Menschen sicher leben können. Die Betroffenenberatung appelliert an alle Wähler*innen, ihre Stimme verantwortungsvoll zu nutzen und sich gerade jetzt für demokratische Werte und Menschenrechte einzusetzen – auch und ganz besonders stellvertretend für die Menschen, die von rechter, rassistischer oder antisemitischer Gewalt betroffen sind, aber selbst kein aktives Wahlrecht zur Bundestagswahl besitzen. „Gesellschaft und Politik müssen jetzt ein klares Zeichen der Solidarität mit Betroffenen setzen und ihnen zeigen: Ihr seid nicht allein. Und wir sind mehr!“, so Marlene Schriever abschließend.