(K)ein Klima zum Flüchten – Gedanken aus dem Exil

von Chris Cheeseman

Wusstet ihr, dass es eine UN-Wanderarbeiterkonvention gibt? Die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, so heißt es komplett, regelt den Aufenthaltsstatus, also den Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Gesundheitsversorgung, Bildung und allem anderen was ein Mensch braucht, der zum Arbeiten in ein fremdes Land kommt. Geregelt ist das auch für Menschen, die inoffiziell einreisen oder keinen legalen Aufenthaltsstatus haben: sie haben dieselben Rechte. 50 Staaten haben diese Konvention übernommen – darunter ist kein einziger Industriestaat.

Migration wie Flucht hat es immer schon gegeben, Menschen reagieren so darauf, dass sie an ihrem Heimatort nicht oder zumindest nicht gut überleben können. Aber erst die bis heute andauernde systematische Ausplünderung der Welt durch die westlichen Industriestaaten, angefangen im Kolonialismus, hat dazu geführt, dass massenhaft Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren, dass Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen ihnen das Leben in ihren Heimatländern unmöglich machen, dass es zuhause keine Perspektive für sie gibt.

Der Klimawandel – wobei: wir nennen ihn so, für die Menschen außerhalb der Industriestaaten ist es eine Klimakatastrophe – durch die Industriestaaten hervor gerufen, hängt eng mit mit Flucht- und Migrationsgründen zusammen, verstärkt die Effekte.

Auch wir spüren die Konsequenzen des westlichen Wirtschaftens auf die Natur des Planeten. Aber weder der Klimawandel noch seine langfristigen Konsequenzen werden auf der Erde gleichermaßen wahrgenommen: der Klimawandel ist ein Multiplikator für Bedrohungen. Er bewirkt wirtschaftliche und politische Instabilität und verschärft deren Auswirkungen.

  • Unwetterkatastrophen wie Stürme, Starkniederschläge und Überflutungen sind eine direkte Gefahr für Leib und Leben, zerstören Hab und Gut, vernichten Ernten und Nutzvieh sowie Infrastrukturen und Entwicklungschancen.
  • Der Verlust der Biodiversität und Schäden an Ökosystemen gefährden die Ernährungssicherheit bzw. Lebensgrundlagen, insbesondere dort,
wo Einkommensquellen unmittelbar von intakten Ökosystemen abhängen.
  • Schmelzende Gletscher und die damit verbundene langfristige Verringerung der Wassermenge in Flüssen gefährden die Landwirtschaft und die Trinkwasserversorgung.
  • Der steigende Meeresspiegel macht tief liegende, flache Küstenzonen und ganze Inselstaaten langfristig unbewohnbar. Böden und Grundwasser versalzen, wiederkehrende Überschwemmungen gefährden
die Menschen.
  • Steigende Temperaturen und lang anhaltende Trockenzeiten erschweren die Landwirtschaft und verschlechtern den Zugang zu sauberem Wasser.
  • Ressourcenknappheit, sei es in Bezug auf Wasser oder landwirtschaftlich nutzbare Flächen, kann bereits bestehende Konflikte verschärfen oder neue entstehen lassen, in deren Folge Menschen fliehen müssen.

Er bewirkt plötzliche Wetterkatastrophen wie Sturmfluten und Stürme genauso wie langfristige Phänomene wie Dürren und Wachstum der Wüsten. Diese Ereignisse tragen zu Ernteausfällen, Hungersnöten und Landflucht in überbevölkerte Städte bei, diese Krisen bewirken soziale Unruhen und politische Umwälzungen, die Auswirkungen bereits bestehender bewaffneter Auseinandersetzungen und Kriegen verschlimmern sich nochmal, was ebenfalls zu Flucht und Vertreibung führt. In einer Untersuchung von 2010 wird eine horrende Zahl von 500 Millionen Menschen beziffert, die solchen Bedingungen unterliegen – in den letzten 9 Jahren hat sich diese Situation weiter verschärft.

Genau das passiert in den Ländern des Nahen Ostens. Der Fruchtbare Halbmond rund um das östliche Mittelmeer ist eine der Wiegen der Zivilisation. Bereits vor 12.000 Jahren gab es dort Ackerbau und Viehzucht, Bewässerung und Kanalbau, durch vorausschauende Vorratshaltung konnten gut funktionierende Gemeinwesen entstehen. Die Möglichkeit, auch in großen Zahlen mit und von der Natur zu leben, begünstigte Kunst und Kultur wie auch eine soziale und geschlechtliche Gleichstellung. Der Landstrich inspirierte den Mythos vom Garten Eden.

Der Fruchtbare Halbmond wird als solcher noch in diesem Jahrhundert verschwinden.

2007 begann im östlichen Syrien, der fruchtbarsten Gegend des Landes, wie auch in der Türkei, dem nördlichen Irak und dem westlichen Iran eine mehrjährige Dürre, die schlimmste seit dem Beginn von Wetteraufzeichnungen. Allein in Syrien vertrieben Wasserknappheit, Ernteausfälle und das Verrecken der Nutztiere 1,5 Millionen Menschen in die Städte. Lebensmittelpreise explodierten. Bald darauf brach in Syrien der Krieg aus, Hunderttausende starben und Millionen flüchteten, auch zu uns.

Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Dürre ist durch die globale Erwärmung um das dreifache angestiegen. Der hauptsächlich im Winter fallende Regen reicht bereits jetzt nicht, um das weitere Absinken des Grundwasserspiegels zu verhindern. Flüsse sind trocken gefallen, Bewässerungsanlagen funktionieren nicht mehr.

Der Klimawandel wird massive furchtbare Folgen für Ägypten haben. Der steigende Meeresspiegel bedroht Siedlungsgebiete, mit die ältesten der Menschheit, in dem mehr als ein Drittel der Bevölkerung Ägyptens lebt und fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Produkte des Landes angebaut werden. Bei einem Meeresspiegelanstieg um nur einen Meter – was den Prognosen entspricht, wenn der Klimawandel jetzt angehalten werden könnte – wären zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung betroffen und 12,5 Prozent der Agrarfläche des Landes überflutet. Etwa zwei Drittel der heutigen Bevölkerung der 5,4-Millionen-Stadt Alexandria leben z.B. in Gebieten, die dann überschwemmt sein würden. Nicht nur die Landwirtschaft würde geflutet, auch große Bereiche der küstennahen Industrieanlagen wären betroffen.

Wir nennen es Klimawandel, für die Menschen in anderen Ländern ist es eine Klimakatastrophe.

Andere Gebiete, aus denen ebenfalls Menschen flüchten und auch zu uns flüchten, sind genauso von den Auswirkungen der von den Industrieländern wie Deutschland verursachten katastrophalen Veränderungen betroffen.

Der Tschadsee, eine überlebenswichtige Ressource für die Menschen aus Ländern wie Kamerun, Tschad, Niger und Nigeria, ist in den letzten Jahrzehnten um 90% geschrumpft, besonders extrem in den letzten 10 Jahren. Diese ökologische Katastrophe ist ein zusätzlicher Faktor in dem bewaffneten Konflikt mit der Boko Haram, der zur Vertreibung von annähernd 4 Millionen Menschen geführt hat.

Was sind die kulturellen Folgen von Flucht oder erzwungener Migration? Die Klimabotschafterin des vom steigenden Meeresspiegel bedrohten pazifischen Inselstaates Kiribati hat es so ausgedrückt: „In den kleinen Staaten verschwinden 22 Kulturen, 22 Arten, ein Lied zu singen oder einen Witz zu erzählen, 22 Arten zu lachen, zu weinen und 22 Arten unseren Kindern „Gute Nacht“ zu sagen. Alles weg! Und die Welt wird nie wieder die alte sein.“

Hunderte Millionen Menschen werden beim Weitergang des Klimawandels ihre Lebensgrundlage und ihre Kultur verlieren. Die UN schätzt, dass 2050 alleine 200 Millionen Menschen weltweit sich deswegen – aber wir haben ja schon gehört, dass Fluchtgründe eng zusammen hängen – auf der Flucht befinden oder unfreiwillig migrieren müssen.

Aber freiwillige Migration ist genauso legitim. Jeder Person steht das Menschenrecht zu, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen (Zivilpakt, Art. 12). Migration muss prinzipiell als existentielle Anpassung wie auch als persönliche Strategie akzeptiert werden.

Und so muss dafür gesorgt werden, dass Migration wie Flucht möglich ist, sicher ist, kostenlos, eben in Würde. Der wertschätzende Umgang mit allen Menschen ist selbstverständlich: so steht es auch im Leitbild des Vereins Exil.

Niemals darf es das Ziel von politischen Maßnahmen sein, Migration zu verhindern, zu unterbinden oder zu erzwingen.

Staaten müssen alle Anstrengungen unternehmen, Klimamigrant*innen, egal ob sie permanent oder temporär, binnenstaatlich oder grenzüberschreitend wandern, nach den Geboten der Menschenrechte zu schützen und zu unterstützen. Betroffene müssen über ihre Rechte informiert und befähigt werden, ihre legitimen Ansprüche einzufordern. Migrant*innen und Geflüchtete haben Rechte auf Nahrung, Wasser, eine angemessene Unterkunft sowie Gesundheit, Bildung und Arbeit: diese Rechte müssen gewährleistet, geschützt und garantiert werden. Betroffene müssen individuell nach ihrer Vulnerabilität gegenüber dem Klimawandel etwaige Ansprüche auf Schutz und Unterstützung geltend machen können. Kompensations- und Reparationsleistungen für jene, die ihr Land und ihr Eigentum durch die Folgen des Klimawandels verloren haben, müssen gegenüber verantwortlichen westlichen Regierungen und Konzernen einklagbar und praktisch verfügbar gemacht werden.

Statt Grenzen zu schließen, Abschottung und Überwachung mit ganz üblen Methoden umzusetzen, sollten Staaten sich vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Verantwortung verpflichten, die langfristige Aufnahme von Migrant*innen und Geflüchteten zu ermöglichen. Europäische und deutsche Migrationspolitik darf nicht länger akzeptieren, dass Tausende Menschen an den Außengrenzen sterben. Flüchtlingsschutz und die Wahrung der Menschenwürde müssen an erster Stelle stehen.

Die EU muss sich ihrer humanitären Verantwortung gegenüber klimabedingter Flucht und Migration auf drei Ebenen stellen: Erstens durch einen ambitionierten Klimaschutz und der finanziellen und technologischen Unterstützung von Anpassungsmaßnahmen weltweit. Zweitens durch eine Migrationspolitik, welche die Illegalisierung und Kriminalisierung von Migrant*innen verhindert. Drittens braucht es ein grundsätzliches Umsteuern bei den internationalen Handelsbeziehungen, speziell in der EU-Subventions- und Fischereipolitik. Deren zerstörerische Kraft zeigt sich in Agrarsubventionen, durch die gefrorene Hühnerteile, die auf europäischen Märkten nicht absetzbar sind, zu subventionierten Preisen die Märkte des globalen Südens überschwemmen, oder wenn von der EU subventionierte Fischereiflotten küstennahe Meere als ökologische Wüste zurücklassen und Lebensexistenzen zerstören.

Flüchtende sind oft der menschliche Preis eines Kapitalismus, der an den Ressourcen und Gütern unseres Planeten, aber kaum an den Lebensverhältnissen seiner Bevölkerung interessiert ist. Dabei geht Menschenrechtsschutz vor Wirtschafts- und Profitschutz.

Ein solcher Schutz kann nicht einfach in die bestehende Genfer Flüchtlingskonvention aufgenommen werden, die persönliche Verfolgung als Fluchtgrund nennt. Jede Neubestimmung der GFK bringt die Gefahr mit sich, dass das bestehende Übereinkommen komplett neu verhandelt und der Status geflüchteter Menschen eingeschränkt wird. Deutschland hat in der Vergangenheit bereits versucht, das zu veranlassen.

Es gibt Möglichkeiten, dass geflüchtete Menschen in Sicherheit bleiben können. Schweden hat z.B. im Aufenthaltsrecht verankert, dass Menschen nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden können, wenn ihnen dort Natur- und Klimakatastrophen drohen. Das wäre auch ein gangbarer Ansatz für die deutsche Gesetzgebung.

Auf internationaler Ebene sollte ein ganz neues, interstaatliches Modell verhandelt werden, das zu einer UN-Konvention zum Schutz der vor den Auswirkungen des Klimawandels flüchtenden und migrierenden Menschen führen könnte. Das durchzusetzen, ist allerdings, ohne dass dieser Kampf überhaupt zu trennen wäre, ähnlich schwer wie durchzusetzen, die Ausbeutung und Zerstörung unseres Planeten zu beenden.

Wir nennen es Klimawandel, für die Menschen in anderen Ländern ist es eine Klimakatastrophe.

Stellen wir uns der Katastrophe entgegen, gemeinsam, weltweit. Kämpfen wir gemeinsam dafür, weltweit, dass alle Menschen auf diesem Planeten die Chance haben, in Würde zu leben, sich einzubringen, und wo immer sie das tun wollen.

Stoppen wir den Klimawandel – ein gutes Leben für alle Menschen.