Seit Anfang November beschäftigen wir in unserer Geschäftsstelle eine Bundesfreiwilligendienstleistende, kurz: Bufdi. Die Stelle bekam Anush Darbinyan, die bis Sommer 2018 erste Ansprechpartnerin für viele Ratsuchende am Telefon und im Empfangsbereich sein wird. Anush gab Klaus Stakemeier Antworten auf die Frage: Wer bist du?
Klaus: Anush, als ich deinen Namen das erste Mal im Zusammenhang mit der Bufdi-Stelle hörte, dachte ich, den Namen kenne ich doch! Dann fiel mir ein, dass dein Name eine Zeitlang im Absender des E-Mail-Verteilers des Büros für Friedenskultur stand. Wie sieht die Vorgeschichte aus, die dich zum Friedensbüro führte?
Anush: Das habe ich schon einige Male gehört. Da ich mich letztes Jahr um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Büros für Friedenskultur gekümmert habe, bin ich in Osnabrück vorzugsweise in diesem Zusammenhang bekannt. Ich habe 2016 mein Abitur hier am Ernst-Moritz-Arndt Gymnasium gemacht und bin daher stolze Osnabrückerin. Obwohl ich nicht hier in Deutschland geboren bin, sondern mit 3 Jahren aus Armenien hierhin kam, bin ich im Osnabrücker Raum groß geworden und Osnabrück ist für mich meine zweite Heimat. Ich habe mich schon zu Schulzeiten gerne sozial engagiert und wollte nach dem Abitur die Zeit nutzen, um meine Stärken und Ideen dafür einzusetzen, der Gesellschaft etwas wiederzugeben. Der Kontakt zum Büro für Friedenskultur kam eher zufällig durch mein Mitwirken bei einer Veranstaltung zustande, die vom Büro durchgeführt wurde. Ich stand beim „Heimatabend“ als Interviewpartnerin auf der Bühne. Als ich dann zufällig hörte, dass es die Möglichkeit gibt, dort mitzuarbeiten, habe ich mich direkt beworben. Die Entscheidung war genau das Richtige zu der Zeit, hat mich gefordert und mir die Möglichkeit gegeben, viel dazuzulernen. Besonders stolz bin ich auf mein Projekt: Ich habe einen Kulturbegegnungsabend zum Thema Armenien unter dem Titel „Handipenk! Treffen wir Armenien“ veranstaltet und Musik, Kunst und Wissenswertes zu Armenien in der Lagerhalle präsentiert. Meine Kolleginnen vom Büro haben mir alle ein ganzes Stück Wissen mitgeben können und ich habe mich als Mitglied in einem super Team sehr wohl gefühlt.
Klaus: Wann und warum hast du dann den Entschluss gefasst, dich als Bufdi bei Exil zu bewerben?
Anush: Der Entschluss kam eher spontan. Schon während meines Praktikums beim Büro für Friedenskultur habe ich von Exil gehört und fand die Projekte alle sehr spannend und unglaublich wichtig für die Osnabrücker Friedenskultur. Ursprünglich hatte ich vor, dieses Jahr mein Studium zu beginnen, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass immer noch etwas fehlte. Kurzfristig habe ich mich dann doch dazu entschieden, erst nächstes Jahr mit meinem Studium anzufangen und mich dafür in einem Thema zu engagieren, das mich schon mein ganzes Leben begleitet: Migration und Integration. Besonders das Thema Migrationsrecht hat mich gepackt. Was viele Menschen vorab wundert, ist, dass ich die 17 Jahre meines Lebens, die ich in diesem Land nun lebe, nur geduldet war. Bis vor Kurzem hatte ich keine Aufenthaltserlaubnis und war rechtlich gesehen einem neu eingereisten Flüchtling gleichgestellt. Dadurch kann ich die Situation vieler Geflüchteter sehr gut nachempfinden und durch die Arbeit hier bei Exil ist mir umso bewusster geworden, wie viele Vorzüge ich in meinem Leben habe, die andere Menschen nicht haben.
Klaus: Waren die ersten Tage bei Exil eigentlich so, wie du sie dir vorgestellt hast?
Anush: Ich versuche immer unvoreingenommen an neue Dinge ranzugehen, deswegen habe ich erstmal alles auf mich zukommen lassen. Die ersten Tage waren sehr schön und vor allem die Freude und Leidenschaft, der ich hier begegnet bin, haben mir ein gutes Gefühl gegeben und mich in meiner Entscheidung bestätigt.
Klaus: Du triffst ja jetzt in unserem Empfangsbereich auf viele Rat suchende Geflüchtete und hin und wieder auch auf ihre deutsche oder familiäre Begleitung. Ist das was Neues für dich oder schon gewohnter Alltag?
Anush: Es ist noch etwas Neues für mich, obwohl ich bei den Gesprächen immer ein familiäres Gefühl vermittelt bekomme. Die Menschen fühlen sich nicht an wie Fremde, sondern eher wie Freunde, denen man zu helfen versucht. Besonders die Gespräche bei denen man merkt, dass man jemandem ein ganzes Stück weiterhelfen konnte, lassen einen viele eigene Sorgen vergessen und die positiven Dinge im Leben sehen. Das kann gar nicht zum Alltag werden, weil es so viele verschiedene Menschen mit so vielen verschiedenen Geschichten sind. Manchmal ähneln sich einige Probleme, aber die Situation an sich bleibt immer besonders. Mir persönlich liegt jeder dieser Menschen am Herzen. Sie und ihr Problem sind in dem Moment auch mein Problem. Was ich besonders gut finde, ist, dass alle von Exil sich so viel Mühe geben, die Atmosphäre immer fröhlich und freundlich zu halten, damit die Menschen, die bei uns Hilfe suchen, zuallererst auch das Gefühl bekommen, dass sie und ihr Problem hier ernst genommen werden.
Klaus: Weißt du schon, ob du dich auch in Zukunft mit dem Thema Flucht und Migration beschäftigen willst?
Anush: Das Thema ist in meinem Leben allgegenwärtig und das ist es schon immer gewesen. Durch die emotionale Bindung, die ich zu diesem Thema habe, beschäftige ich mich automatisch damit. Besonders prägend war für mich der Vergleich, den ich immer zu meinen Mitmenschen gezogen habe. Für mich war es immer so, als ob ich in zwei verschiedenen Welten gelebt habe. Genau das hat mich aber auch erfüllt und mir das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein. Dieser Teilaspekt von Migration, aber auch die verschiedenen Probleme und Fragestellungen, die sich aufwerfen, wenn man das Thema Flucht anspricht, wecken mein Interesse. Engagieren möchte ich mich auf jeden Fall in Zukunft auch in diesem Gebiet. Die Arbeit bei Exil ist ein wunderbarer Anfang dafür.
Klaus: Möchtest du auch deine Gedanken zur Flüchtlingspolitik in Europa, Deutschland oder Osnabrück mit uns teilen?
Anush: Wenn über Flüchtlingspolitik gesprochen wird, dann meist nur negativ. Es werden immer die Probleme aufgezeigt und die Misserfolge hervorgehoben. Es geht darum, woran es noch mangelt und was nicht richtig funktioniert. Viel zu selten sprechen wir das an, was gut und richtig läuft, was geschaffen wurde, welche Probleme gelöst wurden. Viele Strukturen hier in Osnabrück, aber auch in ganz Deutschland, die nun existieren und ständig kritisiert werden, gab es vorher gar nicht. In der Politik ist es natürlich wichtig, Probleme zu erkennen und anzugehen, aber meiner Meinung nach sollten wir uns ab und an auch darauf fokussieren, die positiven Projekte, Initiativen, Erfolge anzusprechen und in den Vordergrund zu stellen. Auch wenn die Flüchtlingspolitik in Deutschland, aber auch in Europa bei Weitem noch nicht perfekt ist, haben wir doch in Europa, in Deutschland und in Osnabrück in den letzten Jahren so viel mehr geschafft, als wir damals für möglich gehalten hätten.
Klaus: Vielen Dank für deine beeindruckenden Antworten, liebe Anush!