Neu entstehende Wanderausstellung setzt Klima als Fluchtursache auf die schulische Agenda – Erfolgsgeschichten aus 35 Jahren Exil
„Ich werde das Geschrei, die Trauer und das Durcheinander nie vergessen. Die Menschen hatten keine Nahrung, Kleidung oder Unterkünfte mehr. Sie mussten fliehen, um ihr Leben zu retten. Mein Bruder ist damals auf einen Baum geklettert und hat so sein Leben gerettet. Ich finde keine Worte dafür.“ Nirmaladevy Rajendran erinnert sich nur ungern an den 26. November 2004 zurück. In diesem Jahr erlebte ihr Heimatland Sri Lanka den schlimmsten Tsunami seiner Geschichte, bei dem 35.322 Menschen ums Leben kamen.
„Wenn ich darüber nachdenke, bin ich sehr traurig“
Doch nicht nur der Tsunami vertrieb die Menschen aus ihrer Heimat. Auch heute hat der Klimawandel einen großen Einfluss auf die sich stetig verschlechternden Lebensbedingungen: „Zurzeit ist das Klima sehr schlimm. Es regnet nicht zur richtigen Zeit und es ist sehr warm und trocken. Deshalb können die Bauern nichts anpflanzen und ernten. Dadurch ist die Bevölkerung in Hungersnot. Im Laufe der Zeit werden immer weniger Bauern existieren und es gibt kaum noch Nahrung für die Bevölkerung. Dadurch entstehen Konflikte und Krieg. Den Menschen fehlt das Mehl, Kinder und Erwachsene haben keine Nahrung, denn es gibt zu wenig Import. Sie müssen mit Booten nach Indien segeln. Aber die Boote sind überfüllt und viele Menschen ertrinken im Meer. Wenn ich darüber nachdenke, bin ich sehr traurig“, sagt Rajendran in die Kamera. Sie erzählt ihre Geschichte für die neu entstehende Wanderausstellung „Fluchtgrund Klimawandel“. Gemeinsam mit vier weiteren Klimazeug*innen wird ihr Video auf einem großen Weltkarten-Exponat zu sehen sein. Der Verein Exil möchte mit der Ausstellung das Thema auf die schulische Agenda setzen. Denn obwohl nach einer Schätzung der Weltbank bis 2050 mehr als 143 Mio. Menschen aufgrund des Klimawandels auf der Flucht sein werden, ist dieser asylrechtlich nicht als Fluchtgrund anerkannt.
„Klimawandel rechtlich als Fluchtursache anerkennen“
„Für die Betroffenen bedeutet das: Sie bekommen kein Asyl und nur wenig Unterstützung. Die Menschen sind schutzlos ihrer Situation ausgeliefert. Wir fordern daher, dass der Klimawandel als Fluchtursache rechtlich anerkannt wird“, sagt Exil-Geschäftsführerin Sara Josef. Therese Sextro, die aktuell als Elternzeitvertretung für Feline Engling Cardoso das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, den Evangelischen Stiftungen Osnabrück und der Deutschen Postcode Lotterie geförderte Projekt leitet, verrät wie: „Unser Ziel ist es, den Klimawandel als Fluchtgrund bundesweit in Schulen und in der Bildungsarbeit präsent zu machen und Lösungs- und Engagementmöglichkeiten aufzuzeigen.“ Dass Zusammenhänge zwischen der Lebensweise in unseren modernen Wohlstandsgesellschaften und weltweiten Fluchtbewegungen bestünden, sei bislang wenig bekannt. Als interaktives Bildungsprojekt für Schüler*innen der siebten bis 13. Klasse könne die Ausstellung ab September 2023 von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen gebucht werden. Herzstück der Ausstellung sei eine Weltkarte, die Video-Statements von fünf Klimazeug*innen aus Kolumbien, Marokko, dem Sudan, dem Iran und Sri Lanka zeige. „Themen sind dabei Fluchtursachen wie extreme Dürre, Überschwemmungen und die Zerstörung ganzer Ökosysteme“, so Sextro.
„Virtual Reality zeigt, welchen Effekt Klimaveränderungen vor Ort haben“
An zwei weiteren Stationen lüden Virtual Reality-Brillen und ein Computer-Terminal zum Entdecken und Informieren ein. „Gerade die virtuelle Realität zeigt sehr eindrücklich, welchen Effekt die Klimaveränderungen vor Ort haben“, sagt Sextro. Die Besucher*innen könnten sich damit auch über Lösungen zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels informieren: „Teil der Ausstellung sind auch 3D-Videos von Anpflanz- und Wiederaufforstungsprojekten, nachhaltiger Landwirtschaft, Bau von Rückhaltebecken und Brunnen, sowie Deichbau und dem Einsatz klimafreundlicher Technologien.“ Am Terminal können sich die Besucher*innen über persönliche Lösungs- und Engagementmöglichkeiten informieren, wie z.B. Freiwilligendienste im Ausland oder Unterstützung von in dem Bereich aktiven NGOs. An Schulen, die die Ausstellung buchen, bietet Exil ab September 2023 Workshops mit Klimazeug*innen und Expert*innen an und versorgt Lehrkräfte mit didaktischem Begleitmaterial.
„Mich haben die Geschichten zum Fluchtgrund Klimawandel sehr berührt“
„Aktuell arbeiten wir am Schnitt und der Postproduktion der Videos. Insgesamt kommen wir sehr gut voran, auch mit der Erstellung der Exponate selbst“, sagt Sextro, die dafür eng mit einer Osnabrücker Agentur zusammenarbeitet. Für die Videos stand hinter der Kamera ein bekanntes Gesicht: Wie schon bei vorherigen Exil-Projekten war der syrische Regisseur Maan Mouslli – mittlerweile mit deutscher Staatsbürgerschaft – verantwortlich. Auf sich aufmerksam machte das Exil-Vereinsmitglied u.a. als Regisseur der Dokumentarfilme „Shakespeare in Zaatari“ und „Newcomers“ oder kürzlich mit dem Film „Die Identität“, der im Dezember im Kultur Klub International des Theater Osnabrück Premiere feierte. „Mich haben die Geschichten zum Fluchtgrund Klimawandel sehr berührt und ich bin froh, Teil dieses Projekts zu sein. Die Statements zeigen, wie wichtig es ist, etwas gegen den Klimawandel zu tun und Informationsarbeit zu leisten“, sagt der 37-jährige.
„Interesse und Wunsch nach Engagement und Veränderung sind da“
Bei der Zielgruppe Jugendliche zählt laut einer Studie des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2020 Umwelt- und Klimaschutz zu den drei wichtigsten gesellschaftlichen Themen. „Auch unsere eigenen Recherchen zeigen, dass das Interesse und der Wunsch nach Engagement und Veränderung da sind“, sagt Therese. Junge Menschen seien nicht nur die gesellschaftliche Zukunft, sondern könnten – wie etwa die Bewegung „Fridays for Future“ zeige – viel bewegen. Ein weiterer Vorteil des Projekts: Im stressigen Schulalltag und bei der Umsetzung curricularer Vorgaben unter Zeit- und Ressourcendruck kämen außerschulische Angebote häufig zu kurz. Das Projekt „Fluchtgrund Klimawandel“ ermöglicht Schüler*innen somit ein Lernen auf anderer Ebene ohne den Zeit- und Leistungsdruck, der sie an allgemeinbildenden Schulen häufig begleitet.
Schüler*innen werden zu Kimaschutzbotschafter*innen ausgebildet
Für die Ausstellung brauchen Schulen und andere Bildungseinrichtungen ca. 15-20 m² Ausstellungsfläche. Außerdem muss die Ausstellung an mindestens einem Tag im Monat für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. An jedem Ausstellungsort würden dafür interessierte Schüler*innen vorab zu Klimaschutzbotschafter*innen ausgebildet. Sie nähmen an einer Schulungsveranstaltung zum Ausstellungaufbau und weiterführenden Hintergrundinformationen teil. Anschließend können sie Besucher*innen durch die Ausstellung führen. Für weitere Informationen können sich Interessierte gerne an Therese Sextro unter 0541 380699-28 oder therese.sextro@exilverein.de wenden.
In der Reihe „Menschen im Exil“ stellen wir anlässlich unseres 35-jährigen Bestehens Menschen vor, die wir durch unsere Arbeit dabei unterstützen konnten, in Deutschland nach ihrer Flucht wieder Fuß zu fassen und in Osnabrück einen Ort zum Zuhause-Fühlen zu finden. Das hätten wir ohne das Mitwirken unserer Mitglieder, Ehrenamtlichen und Spender*innen nicht geschafft. Dafür sagen wir ganz herzlich Danke!