Wie das Exil-Projekt „Mach´s doch selbst!“ Badreldeen Babiker zu einem überzeugten Osnabrücker machte – Erfolgsgeschichten aus 35 Jahren Exil
Eine Vielzahl der Angebote von Exil schaffen die rund 550 Ehrenamtlichen des Vereins – vom Café International über Sprachkurse, Freizeit- und Begegnungstreffs bis zum gemeinsamen Gärtnern oder öffentlichen Veranstaltungen wie Konzerten. Die Menschen, die sich bei Exil engagieren, sind zwischen 16 und 80 Jahre alt – mit vielen verschiedenen Nationalitäten und Geschichten. Etwa ein Drittel der Engagierten hat eigene Migrationserfahrungen gemacht. Einer von ihnen ist Badreldeen Babiker. Er floh 2014 aus seiner Heimat Sudan. „Seit Jahrzehnten bewaffnete Konflikte, Bürgerkrieg, Gewalt, Drohungen und die alltägliche Angst ums Überleben. Viel war nicht mehr von meiner geliebten Heimat übriggeblieben, als ich mich im Juni 2014 zur Flucht entschloss“, erzählt der 47-jährige. „Meine Familie zurückzulassen, das war wirklich schwer, aber ich tat es, um für uns ein besseres Leben zu finden.“ Im Sudan hatte er 13 Jahre lang als Arabisch-Lehrer gearbeitet.
„Mehrmals gedacht, dass ich auf dem Weg in einer bessere Zukunft sterbe“
Es war ein warmer Tag als er losging, ganz normal warm, und doch war alles anders für ihn. 14 Wochen dauerte seine Flucht, bis er im September 2014 in Deutschland ankam. Vom Sudan aus gelangte Badreldeen zunächst über die Türkei nach Griechenland. „In Mazedonien war ich eine Woche lang alleine zu Fuß unterwegs bis nach Serbien“, erzählt er. „Das war wirklich eine Qual. Ich hatte nichts zu essen, nichts zu trinken, gar nichts. Meine Füße waren voller Blut. Das werde ich nie vergessen. Mehrmals habe ich in dieser Zeit gedacht, dass ich wohl auf dem Weg in eine bessere Zukunft sterbe, dass ich einfach irgendwo liegenbleibe und nie mehr aufstehen kann.“
„Deutschland sollte nur eine Zwischenstation sein“
In Serbien angekommen, geriet er in eine Polizeikontrolle. Die Beamten schickten ihn zurück nach Griechenland – zu Fuß. Also lief er. Den ganzen Weg, eine Woche. Eine Woche kein Dach über dem Kopf und kein geregeltes Essen, keine frische Kleidung und kein sicherer Platz zum Schlafen. Völlig erschöpft gelangte er daraufhin per Schiff und Lkw nach Italien. Die nächsten Stationen waren Frankreich und Deutschland, von dort wollte er schnell weiter nach Norwegen. „In Griechenland hatte mir jemand erzählt, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe in Deutschland sowieso keine Aufenthaltserlaubnis bekommen, deswegen wollte ich weiter. Deutschland sollte nur eine Zwischenstation sein“, erzählt er. In Köln angekommen, wurde Badreldeen dann von der Polizei kontrolliert. Die Beamten nahm er als freundlich und zugewandt wahr. Sie erklärten ihm, dass er illegal in Deutschland eingereist sei und dass er 48 Stunden Zeit hätte sich zu entscheiden, ob er in Deutschland einen Asylantrag stellen wolle, ansonsten müsse er Deutschland verlassen. Für die Entscheidung blieben Badreldeen fünf Minuten und die Entscheidung fiel schnell: Er wollte bleiben.
„Alle, auch die deutsche Polizei, waren sehr freundlich“
„Ich habe gar nichts gemerkt von dem angekündigten Rassismus“, sagt er rückblickend. Alle, auch die deutsche Polizei, waren sehr freundlich.“ Als Asylsuchender kam er nach Bramsche in die Erstaufnahmeeinrichtung der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen. Anfang November 2014 erreichte ihn dann ein Schreiben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit einer Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Zu dieser Zeit wohnte Badreldeen bereits in der ehemaligen Flüchtlingsunterkunft in der Landwehrstraße in Osnabrück. Eine Bezugsperson von dort erzählte ihm von Exil. Dort lernte er 2015 die spätere Exil-Geschäftsführerin Sara Josef kennen, die ihm viel von Exil erzählte und ihn 2017 mit Lara Benteler, der Ehrenamtskoordinatorin des Vereins, bekannt machte. Zusammen sprachen sie über Möglichkeiten sich zu engagieren, eigene Fähigkeiten einzubringen und etwas Sinnvolles zu tun. „Mach’s doch selbst!“ war da genau das Richtige.
Mehrfach ausgezeichnet: Projekt „Mach‘s doch selbst!
„Mach’s doch selbst!“ ist ein mehrfach mit Bundespreisen ausgezeichnetes Projekt von und für Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte. Seit 2018 bestärkt es neu in Osnabrück Angekommene darin, sich ehrenamtlich zu engagieren, selbst aktiv zu werden und eigene Projektideen umzusetzen. Schwerpunkt von „Mach’s doch selbst!“ ist es, ein Ehrenamt zu gestalten, in dem Menschen mit und ohne Flucht- und Migrationsbiografie gleichberechtigt im Ehrenamt involviert sind. Gefördert wird das Projekt von der Aktion Mensch und der Klosterkammer Hannover. 2020 wurde es mit dem „Aktiv für Demokratie und Toleranz“-Preis des Bündnisses für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet, 2021 verlieh ihm die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt den mit 10.000 Euro dotierten Preis „EngagementGewinner“.
Lara Benteler: Wichtiges Bindeglied zwischen Haupt- und Ehrenamt
Durch die Arbeit von Lara Benteler ist eine intensive Betreuung der Engagierten möglich. Sie organisiert Qualifizierungsworkshops zu Themen wie „Interkulturelle Begegnung“, „Asyl- und Aufenthaltsrecht“ oder „Nähe und Distanz im Ehrenamt“, steht jederzeit für Fragen zur Verfügung, bringt Tandems aus Geflüchteten und Nicht-Geflüchteten zusammen, veranstaltet monatliche Austauschtreffen für alle Ehrenamtlichen und Neu-Interessierten und ist wichtiges Bindeglied zwischen den aktuell 25 Hauptamtlichen und rund 550 Ehrenamtlichen des Vereins. Seit Bestehen des Projekts von „Mach’s doch selbst!“ hat sie jährlich mindestens sechs Qualifizierungsworkshops angeboten. Einmal im Jahr veranstaltet sie zur Würdigung des Engagements zudem ein Sommerfest und eine Winterfeier, bei der Begegnung und Austausch ermöglicht und die Erlebnisse des Jahres geteilt und gefeiert werden.
Das Ehrenamt ist eines der Fundamente des Vereins
Außerhalb der hauptamtlich organisierten Beratung, Arbeitsmarktintegration und Bildungsarbeit schafft Exil einen großen Teil seiner Angebote mit der Unterstützung der rund 550 ehrenamtlich Mitarbeitenden. „Der Bereich Ehrenamt ist damit enorm groß und wichtig für Exil. Als ich hier Ende 2017 angefangen habe, war es schon groß und sehr gut strukturiert. Das hat mir meine Arbeit erleichtert“, sagt Lara Benteler heute. Die Engagierten betätigen sich in bis zu fünfzehn verschiedenen Gruppen und Projekten. Das Exil-Projekt FreiZeit für junge Geflüchtete etwa lädt regelmäßig Kinder aus der Erstaufnahmeeinrichtung Bramsche zu Aktivitäten wie Sport, Basteln und Spielen ein und schafft pädagogische und kreative Angebote für Jugendliche – insbesondere unbegleitete Minderjährige. Die Sunday-Gruppe organisiert für Familien und Erwachsene Freizeitaktivitäten am Wochenende. Außerdem gibt es zwei Gruppen, die speziell Frauen ansprechen: Die Internationale Frauengruppe und der Sprachlerntreff „Frauen treffen Frauen“. Bei allen Aktivitäten stehen das Kennenlernen, Sprechen üben, das Voneinander lernen und der kulturelle Austausch im Vordergrund. Selbst die Öffentlichkeits- und Kulturarbeit des Vereins wird zum Teil von Ehrenamtlichen umgesetzt. Zahlreiche Ehrenamtliche sind in die Organisation von
Veranstaltungen involviert oder den Begegnungstreff „Café International“, der alle 14 Tage mittwochs in der Henne Cafébar stattfindet. In lockerer Atmosphäre Deutsch sprechen: Das gelingt mit der Gruppe „commYOUnication“. Nicht zu vergessen: Die ehrenamtlichen Sprachlernhelfer*innen aus den Deutschkursen sowie die in Beratungsgesprächen unterstützenden Dolmetscher* innen.
Viele neu-interessierte Ehrenamtliche im Zuge des Ukraine-Kriegs
„Derzeit gibt es im Zuge des Ukraine-Kriegs wieder viele neu-interessierte Ehrenamtliche, die es sehr schätzen, dass im Projekt bereits viele Erfahrungen, Handreichungen und Möglichkeiten zur Qualifizierung vorhanden sind“, sagt Lara. Im Rahmen von „Mach’s doch selbst!“ blickt sie zudem auf viele tolle umgesetzte Projektideen von Menschen mit eigener Flucht- oder Migrationsbiografie zurück: einen Computer-Stammtisch etwa oder eine Kreativ-Gruppe, die einen Jahreskalender für Exil gestaltet hat, einen Kunstkurs für Kinder auf Arabisch und einen von Ehrenamtlichen selbst produzierten Film über das Ehrenamt bei Exil. Auch ein Kurdisch- und ein Arabisch-Sprachkurs für Anfänger*innen waren dabei. Der Arabisch-Sprachkurs war eine Idee von Badreldeen Babiker, den er seit 2018 für alle Interessierten angeboten hat. Lara Benteler ist stolz auf die vielen Engagierten: „Regelmäßig engagieren sich 100-300 Personen im Projekt „Mach’s doch selbst!“. Da kommen wir so auf 160 Engagement-Stunden pro Woche. Meine Arbeit macht mich glücklich und ist sinnstiftend für mich. Ich erlebe, wie Menschen ihren eigenen Weg wiederfinden und eine Erfüllung im Ehrenamt finden. Für mich ist das sehr bereichernd, wenn ich da unterstützen kann“, so Lara.
„Die Arbeit bei Exil hat mir viele Türen und Möglichkeiten eröffnet“
Viele Engagierte werden so zu Gruppenleiterinnen, Dolmetschenden, Tandempartnerinnen, Öffentlichkeits- und Kulturarbeiter*innen sowie Lehrenden, wie Badreldeen in seinem Arabischkurs für Ehrenamtliche. „Die Arbeit bei Exil als Arabischlehrer für deutsche Ehrenamtliche hat mir viel Freude bereitet“, sagt er. „Ich liebe die arabische Sprache, das Sprechen und die Möglichkeit, mein Wissen weiterzugeben. Außerdem hat sie mir viele Türen und Möglichkeiten eröffnet. Ich habe Reden zur Situation Geflüchteter im Schlossgarten gehalten und war im Mai 2016 bei einer Podiumsdiskussion mit Innenminister Boris Pistorius dabei“, erzählt Badreldeen. „Das war großartig – mich mit einem Minister über Flucht und die Fluchtsituation auszutauschen. Das hat mich nachhaltig geprägt und mir gezeigt, dass meine Stimme Gehör findet.“
Dank den Menschen von Exil in Osnabrück ein echtes Zuhause gefunden
2019 bis 2021 wurde Badreldeen dann in den Vorstand von Exil gewählt. „Für mich war das ein großes Geschenk“ erzählt er rückblickend. „Ich war zum Zeitpunkt der
Mitgliederversammlung, bei der die Wahlen stattfanden, bei meiner Familie im Sudan. Ich wusste, dass Lara mich zur Wahl vorschlagen wollte und war so aufgeregt. Meine Frau und ich saßen auf dem Sofa, als mich die Nachricht mit der erfolgreichen Wahl erreichte“, so der 47-jährige. „Lana, jetzt bin ich ein wichtiger Mann in Deutschland, sagte ich zu ihr, weil es sich genauso anfühlte. Die gegenwärtige Situation auf unserer Erde zeigt einmal mehr wie wichtig die Arbeit von Exil ist. 2014, heute und in Zukunft – und ich darf mithelfen und aktiv etwas für Menschen mit Fluchtgeschichte tun. Mein Herz war und ist voller Glück.“ Und weiter: „Mein Lebensmittelpunkt ist jetzt hier in Osnabrück. Vor sechs Jahren ist es mit Unterstützung von Exil gelungen, meine geliebte Frau nach Deutschland in diese tolle Stadt
zu holen. Heute liebe ich es hier, weil ich dank den Menschen von Exil in Osnabrück ein echtes Zuhause gefunden habe. Manchmal werde ich trotzdem gefragt: Badreldeen, möchtest du wieder zurück in den Sudan? Dann antworte ich: Mein Platz ist bei meiner Frau und bei Exil – deswegen bin ich in Osnabrück genau richtig.“ Neugierig geworden? Wir sind immer auf der Suche nach neuen Ehrenamtlichen und unterstützen euch gerne in eurem Engagement. In regelmäßig stattfindenden Workshops erhaltet ihr fachspezifisches Wissen zu Themen wie „Trauma und Flucht“, „Interkulturelle Begegnungen“, „Antirassistische Handlungsmöglichkeiten“ und vieles mehr. Informiert euch in unserer Sprechstunde, besucht unsere Austauschtreffen für Ehrenamtliche und lernt Engagementmöglichkeiten kennen. Wir sind auch offen für eure Vorschläge und freuen uns, wenn ihr uns sagt, was ihr braucht, um Exil ehrenamtlich zu unterstützen. Wir freuen uns auf euer Engagement! Wer Interesse hat, kann sich gerne per E-Mail bei Lara unter lara.benteler@exilverein.de melden.
In der Reihe „Menschen im Exil“ stellen wir anlässlich unseres 35-jährigen Bestehens Menschen vor, die wir durch unsere Arbeit dabei unterstützen konnten, in Deutschland nach ihrer Flucht wieder Fuß zu fassen und in Osnabrück einen Ort zum Zuhause-Fühlen zu finden. Das hätten wir ohne das Mitwirken unserer Mitglieder, Ehrenamtlichen und Spender*innen nicht geschafft. Dafür sagen wir ganz herzlich Danke!