„Wir müssen uns zwischen den Zeilen lesen“ – Gedicht-Ausstellung in der Stadtbibliothek

Ausstellungseröffnung in der Stadtbibliothek

von Klaus Stakemeier

Alle Hände voll zu tun hatten Sebastian Neuhaus und Alan-Simon Hamidi von  Exil – sie mussten immer mehr Stühle herbeischaffen, denn es kamen mehr Menschen als erwartet: Am Donnerstag, 23. November, wurde die Ausstellung zum Projekt WER VERSTEHT DAS SCHON?© in der Stadtbibliothek eröffnet. Um 18.30 Uhr sprach Beatrice le Coutre-Bick vom Literaturbüro Westniedersachsen die Begrüßungsworte. Sie gab einen kurzen Einblick in das Zustandekommen der Ausstellung, begrüßte alle anwesenden Dichter und Gäste und lobte den Projektträger Exil, der durch Vorstandsmitglied Andreas Neuhoff vertreten war. „Lama bada Tatjana“ und „Athada lalam“ hießen die beiden ersten Musikstücke von Diyaa Abbasi (Gitarre) und Feras Jarir (Gesang), zwei junge Musiker aus Damaskus, die die Eröffnung begleiteten.

Bei ihren einführenden Worten hob Daniela Boltres zunächst die gute Zusammenarbeit von Exil, der Stadt, der Stadtbibliothek und dem Literaturbüro Westniedersachsen für das Zustandekom-men der Ausstellung hervor. Es folgten ein paar Worte zur Geschichte des partizipativen Kunstprojekts. Das Projekt startete sie gemeinsam mit dem Ingenieur Osama Al-Asmi aus Rostock in 2012, dem Ausbruchsjahr der Konflikte in Syrien und erklärt zur Absicht des Projekts: „Ich bat Geflüchtete um ein Geschenk: Ein Gedicht in ihrer Sprache, mit Erfahrungen, Gedanken, Wünschen. Im Verlaufe der Zeit schenkten mir immer mehr Menschen auch aus anderen Ländern ihre Gedichte. Heute sind es fast 30 Texte in beinahe 20 Sprachen.“ Seit 2012 ist WER VERSTEHT DAS SCHON?© in mehr als 20 Orten gewesen, als Ausstellung, Lesung und Schreibworkshop. Nach den Lesungen anlässlich der Osnabrücker Kulturnacht im August dieses Jahres ist die Ausstellung in der Stadtbibliothek bereits die zweite öffentliche Veranstaltung in Osnabrück. Zu sehen sind Gedichte und Kurztexte in vielen Sprachen, die von in Rostock und in Osnabrück lebenden Geflüchteten und Migrant*innen geschrieben wurden. Alle Tafeln präsentieren die Gedichte in Originalsprache und Deutsch-Übersetzung. Ein Plakat aber bleibt blanko: Es bildet das Schweigen derer ab, die unsichtbar bleiben müssen, weil sie nicht mehr hier bleiben dürfen oder auf der Flucht ihr Leben verloren. Bevor Daniela Boltres sich noch einmal bei allen Akteuren bedankt, lädt sie ein mit den Worten: „Um diese Gedichte besser zu verstehen und uns besser kennenzulernen, brauchen wir Zeit und mehr Begegnungen. Jede Übersetzung ist eine Entscheidung für einen Aspekt des Textes und übermittelt daher nur eine vorläufige Aussage. Es ist wie in jeder ersten Begegnung mit einem Menschen: Wir brauchen Zeit, um uns kennenzulernen, Zeit, uns zu verstehen. Wir müssen näher herantreten, wir müssen uns zwischen den Zeilen lesen.“

Der Höhepunkt der Eröffnung ist die Lesung des Lyrikers Hasan Alhasan. Nach seiner Inhaftierung 2015 floh Alhasan mit Frau und Kind aus Aleppo nach Deutschland. Etliche Veröffentlichungen und über zwanzig Preise und Ehrungen krönen sein literarisches Wirken. Neben dem Erlernen der deutschen Sprache arbeitet er derzeit an einer Einführung in die arabische Lyrik. In der Stadtbibliothek wird es ganz still, als Alhasan seine Gedichte rezitiert. Auch die des Arabischen unkundigen Besucher spüren die erhabene Kraft seiner Worte. Die Übersetzungen, vorgetragen von Alan-Simon Hamidi und Andreas Neuhoff, bestätigen den Eindruck. Trauer und Zorn, aber auch Trost und Zuversicht tragen dieses beeindruckende lyrische Werk. Angekündigt wird ein Buch über seine Erfahrungen der Flucht, mit dem er demnächst beginnen wird.

Der Abend endet mit Würdigungen. Allen ehrenamtlichen Übersetzern und den Helfern dieses Abends wird Dank ausgesprochen. Dann werden die anwesenden Autor*innen von der Kulturnacht nach vorne gebeten, wo ihnen ein Satz Gedichtkarten von Daniela Boltres und Präsente von Beatrice le Coutre-Bick überreicht und ihnen Dank und Anerkennung zuteil wird. Dann spielen nochmal Diyaa und Feras, und einige der Besucher können fröhlich mitwippen, denn es ist der deutsche Song „Auf anderen Wegen“ von Andreas Bourani.

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