Volles Haus bei „Human Flow“ im Cinema-Arthouse

von Klaus Stakemeier

Der Andrang war riesig: Der ursprünglich angedachte Saal war zu klein, deshalb verlegte das Cinema-Arthouse die Osnabrücker Erstaufführung des Films „Human Flow“ kurzerhand in den größten Kinosaal. Die Vorführung war eine Kooperation von Exil und dem Cinema-Arthouse. Wir hatten schon Wochen vorher auf unserer Webseite und über Facebook dafür geworben und so sahen am Sonntag, 14. Januar, rund 300 Menschen den beeindruckenden Dokumentarfilm des renommierten chinesischen Künstlers Ai Weiwei.

Ohne Vorschauen, ohne die gewohnte Werbung und ohne „Vorwarnung“ sind die Betrachter plötzlich mitten im Geschehen. Vor tiefblauem Himmel leitet eine dahingleitende Möwe mit weißen Flügeln den Blick zu einem Boot, das, als die Kamera ranfährt, eine eng zusammengedrängte Menge Menschen zeigt, die in Rettungswesten gekleidet auf ein Rettungsschiff umsteigen. Einige Szenen später sieht man eine Frau, die in einem kargen Container mit dem Rücken zur Kamera sitzt und klagt: „Wo soll ich mein neues Leben beginnen, hier kann ich nicht bleiben. Wie viele Tage muss ich das noch aushalten?“ Sie möchte sich nicht zeigen. Angst, vielleicht Scham. Dann bricht sie in Tränen aus. Sie ist eine von 65 Millionen Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Ai Weiwei versucht dies mittels einer epischen Filmreise von einer Flüchtlingstragödie zur nächsten darzustellen, und das 140 Minuten lang – rund um die Welt.

Doch die Zeit spielt für die Besucher keine Rolle. Sie tauchen in ungewohnt ästhetische Bilder ein, die Flüchtende rund um den Erdball in Bewegung zeigen – mal magisch beleuchtet vor bedrohlich schwarzen Wolkenformationen, mal als bunte Gruppe in zerstörter Natur oder als Porträts vor Gebäuderuinen. Zur Bildsprache Weiweis gehören sowohl fliehende Menschen aus der Perspektive am Boden liegender Gestürzter als auch große Gruppen von Flüchtenden, die mit Drohnen aus der Vogelperspektive gefilmt werden. Ästhetik und Elend – darf man das? Geht das? Das sind Fragen, die sich viele zwischendurch fragen. Die meisten, mit denen ich darüber sprach, sagten, dass die Ästhetik dem Grauen, der Verzweiflung und Zerstörung eher eine klare Sicht verleiht. Und so sehen wir die brennenden Ölfelder in Mossul, Menschenwanderungen wie stille Prozessionen über den Balkan, vor dem Ertrinken sich rettende Menschen in orangen Westen im Mittelmeer, von einer besseren Welt träumende Mädchen im Gaza-Streifen, von der Gewalt verzweifelt fliehende Menschen in Mexiko, vor Stacheldraht von Polizeiketten zurückgedrängte Flüchtlingsfamilien an der griechisch-mazedonischen Grenze oder in silbrige Rettungsdecken vor Unterkühlung gehüllte Bootsflüchtlinge. Auch Rohingya in Bangladesch oder getriebene Menschen in Kenia hat Weiwei besucht – insgesamt 40 Flüchtlingslager in 23 Ländern – um uns zu zeigen, wie der Zustand der Welt ist und uns zu sagen (Originalton): „Wir dürfen unsere Menschlichkeit nicht vergessen.“ oder „Die Welt schrumpft und die Menschen verschiedener Kulturen und Religionen müssen lernen, friedlich zusammenzuleben.“

Am 18. Februar bieten Exil und das Cinema-Arthouse nochmal die Gelegenheit, den ausdrucksstarken Film zu sehen. Vielleicht geht es dann auch anderen Besuchern so wie mir am 14. Januar, dass man angesichts der Vertreibungen überall um uns herum ganz still wird und denkt, wieso geht es uns so gut? Und da wollen wirklich Menschen vor anderen Menschen die Grenzen schließen?

  • Nächste Vorführung: Sonntag, 18. Februar 2018, 11.30 Uhr im Cinema-Arthouse. Pro verkaufter Eintrittskarte fließen 2,-€ als Spende in die Projekte von Exil – Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge e.V.

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