Osnabrück, 21. April 2020. Bereits Ende März hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen gefordert, Schutzsuchende aus Sammelunterkünften zu verlegen und in Hotelzimmern unterzubringen. In Stadt und Landkreis Osnabrück sind diese sinnvollen Maßnahmen zum Infektionsschutz, die gleichzeitig Betreiber*innen von Hotels, Ferienwohnungen und anderen Einrichtungen zugute kommen würden, bislang nicht umgesetzt worden. Mehrere Osnabrücker Organisationen haben daher auf Initiative von No Lager Osnabrück diese Forderungen nochmal aufgegriffen und einen offenen Brief an den Rat der Stadt Osnabrück verfasst.
Wir veröffentlichen den Text hier in leicht gekürzter Version:
„Sehr geehrte Mitglieder des Rates der Stadt Osnabrück,
seit einigen Wochen befindet sich die Welt im Ausnahmezustand (…). Überall wird zur Solidarität und Rücksichtnahme aufgerufen, sei es die Rücksicht auf Risikogruppen oder das Verständnis für die mitunter extrem restriktiven Eingriffe in unsere Grundrechte. Viele Menschen stellen sich gerade ganz existenzielle Fragen: Wie sie beispielsweise in der aktuellen Situation ihre Miete zahlen sollen oder ob ihre Freund*innen, Kolleg*innen und Angehörigen die nächsten Monate gesund überstehen. Hinzu kommt die drohende Rezession, deren Folgen aller Voraussicht nach ein deutlich größeres Ausmaß als die Weltfinanzkrise von 2008 annehmen werden. (…)
Im konkreten Fall der Stadt Osnabrück (…) blicken wir vor allem mit Sorge auf die Unterbringungssituation von Geflüchteten, Obdachlosen und schutzbedürftigen Frauen und Kindern. Deren Unterbringung in Mehrbettzimmern bzw. engen, gemeinschaftlich genutzten sanitären (…) Anlagen machen es kaum möglich, sinnvolle Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Trotz aller sinnvoller Bemühungen der Betreiber*innen dieser Einrichtungen, die Menschen zu schützen, ist das Infektionsrisiko in diesen Einrichtungen extrem hoch. Wir fordern daher die Stadt Osnabrück (…) auf, als notwendigen Schutz vor der Infizierung mit dem SARS-CoV-2 folgende Maßnahmen für Geflüchtete, Obdachlose und schutzbedürftige Frauen und Kinder zu ergreifen und begrüßen die schon eingeleiteten Maßnahmen, um diesen Schutz zu gewährleisten:
Pro Zimmer nur eine volljährige Person unterbringen
Was als Vorschrift für Saisonarbeitskräfte gilt, muss auch für geflüchtete Menschen, Obdachlose und Frauen in Schutzeinrichtungen gewährleistet sein. Wenn dies in Unterkünften und im Frauenhaus nicht möglich ist und wenn durch enge, gemeinschaftliche Nutzung der vorhandenen sanitären Anlagen und Küchen das Ansteckungsrisiko extrem erhöht ist, [sollte] die Stadt Osnabrück (…) eine anderweitige Unterbringung in den zurzeit ohnehin leerstehenden Hotels, Hostels, Jugendherbergen veranlassen. Vorrang haben Personen, die im Falle einer Erkrankung einer Risikogruppe angehören, perspektivisch muss es aber um alle in Gemeinschaftsunterkünften lebende Menschen gehen. Für sie muss es möglich sein, dieselben Vorsichtsmaßnahmen anzuwenden, die für alle gelten. Die Unterbringung erfolgt in der Stadt Osnabrück. Daraus ergibt sich auch eine schnelle kommunale Aufnahme aller Geflüchteten aus der LAB in der Sedanstraße. Die Träger*innen der Unterkünfte und des Frauenhauses werden am Prozess der anderweitigen Unterbringung beteiligt, besondere Bedürfnisse, z.B. Schutz und Anonymität, gewährleistet.
Weitere Geflüchtete von den EU-Außengrenzen aufnehmen
Es sollte für Stadt und Land ohne weiteres möglich sein, mehr als die bisher beschlossenen 50 Kinder bundesweit aufzunehmen. (…) Die Stadt Osnabrück ist seit einigen Jahren ein sogenannter „Sicherer Hafen“ für Geflüchtete und hat damit die Bereitschaft erklärt, eigenständig weitere Geflüchtete aufzunehmen. Auch vonseiten des [Oberbürgermeisters] wurde die Bereitschaft erklärt, im Rahmen einer europäischen Aktion weitere Geflüchtete aufzunehmen. Eine umfassende gemeinsame europäische Aktion ist derzeit nicht in Sicht. Es darf jetzt aber keine Zeit verloren werden. Die bestehende Katastrophe in den griechischen Lagern muss beendet und eine Verschlimmerung dieser Katastrophe durch das Coronavirus abgewendet werden. Dafür sollten Stadt und Landkreis Osnabrück und das Land Niedersachsen sämtliche Möglichkeiten ausschöpfen, um weitere Menschen eigenständig aus den Camps an den EU-Außengrenzen aufzunehmen und unterzubringen. (…)
Aufenthaltstitel verlängern und vollumfänglichen Zugang zu Gesundheitsleistungen gewährleisten
Menschen, die aufgrund der Corona-Krise ihren Arbeitsplatz und somit die Grundlage ihres Aufenthaltstitels verlieren, müssen bis auf Weiteres eine unbefristete Verlängerung ihrer Aufenthaltspapiere bekommen. Zudem muss ein niedrigschwelliger Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen für alle Menschen gewährleistet sein. Viele Migrant*innen, die nun keinen Arbeitsplatz mehr haben, sind akut von sozialer Verelendung bedroht. Asylsuchenden wird nur ein beschränkter Zugang zum Gesundheitssystem gewährt. Dies muss mindestens für die Zeit der Corona-Pandemie aufgehoben werden und vollumfängliche Gesundheitsversorgung für alle Menschen ermöglicht werden.
Alle Abschiebungen aussetzen und Leistungskürzungen aufheben
In der derzeitigen Situation, in der das gesamte gesellschaftliche Leben ruht, ist es geradezu absurd, dass Abschiebungen weiter angedroht und durchgeführt werden (…). Abgesehen davon, dass viele Länder generell momentan keine Menschen aus dem Ausland aufnehmen, ist es nicht zumutbar, Menschen durch eine Abschiebung einem erhöhten Infektionsrisiko auszusetzen. Zudem müssen die Ausländerbehörde und die Sozialämter sofort die Leistungskürzungen für jene Geduldete und Asylbewerber*innen aufheben, die aufgrund mangelnder Mitwirkungspflichten bei der Identitätsklärung oder Ausreise erteilt wurden. In der momentanen Situation ist diese Mitwirkungspflicht unmöglich zu erfüllen und darf daher nicht sanktioniert werden. Es gilt nun, gemeinsam mit den Sozialämtern einen einfachen Zugang zu Überbrückungsleistungen für all jene zu ermöglichen, die in der momentanen Situation darauf angewiesen sind. Des Weiteren müssen die Fristen der Dublin-III-Verordnung nicht nur pausiert, sondern ausgesetzt werden. Es kann nicht sein, dass Deutschland nicht sein Recht auf Selbsteintritt nutzt und somit weiterhin an dem nicht funktionierenden Dublin-System festhält und Menschen weiterhin der Angst vor Abschiebungen aussetzt. Auf kommunaler Ebene muss ein Erlass ergehen, der die Ausländerbehörde anweist, ausnahmslos keine weiteren abschiebenden Maßnahmen einzuleiten.
Um das Coronavirus erfolgreich einzudämmen und die Auswirkungen auf das öffentliche Leben sozialverträglich zu gestalten, halten wir die oben genannten Maßnahmen für unumgänglich. Die Friedensstadt Osnabrück sollte den sozialen Frieden im Blick behalten (…). Sehr geehrte Mitglieder des Rates, wir fordern Sie auf, Verantwortung zu übernehmen und besonders Schutzbedürftige unserer Gesellschaft besser zu schützen. Ähnlich verhält es sich in der Bewältigung der internationalen Krise um die Verantwortungsübernamen von geflüchtete Mitmenschen weltweit, die auf die Unterstützung vieler einzelner Städte und Länder angewiesen sind. Dabei könnte Osnabrück eine profilierende Vorreiterrolle einnehmen.
Wenn uns die Corona-Pandemie bislang eines gelehrt hat, so ist es, dass diese Krise nur gemeinsam solidarisch überwunden werden kann.“
Unterzeichner*innen:
- Amnesty International Gruppe Osnabrück Attac Osnabrück
- Autonomes Frauenhaus Osnabrück
- BISS Osnabrück
- Die Grünen – Stadtverband Osnabrück Exil e.V.
- Flüchtlingshilfe Rosenplatz
- Frauenberatungsstelle Landkreis Osnabrück
- Frauenberatungsstelle Stadt Osnabrück
- Frauennotruf Osnabrück
- Maria Meyer, Preisträgerin des Elisabeth-Siegel-Preises der Stadt Osnabrück
- Nicole Verlage, Vorsitzende DGB Stadtverband Osnabrück
- Niedersächsischer Flüchtlingsrat
- No Lager Osnabrück
- SDAJ Osnabrück