Osnabrück, 5. Januar 2017. Die Tinte auf seinem Mitgliedsantrag ist schon lange getrocknet: Vor siebenundzwanzig Jahren stellte Jochen Ohliger den Antrag auf Aufnahme in den Verein. Nachdem er zwanzig Jahre Finanzvorstand war, zog er sich 2014 aus der Vorstandsarbeit zurück. Exil blieb er als aktives Mitglied erhalten – aktuell insbesondere durch sein Engagement im „Politischen Forum“ des Vereins. Sara Höweler hat mit ihm über seine Beweggründe gesprochen.
Sara: Jochen, du engagierst dich besonders stark im Politischen Forum des Vereins, bleibst weiter kämpferisch und wirst von allen als mahnende Stimme gekannt und geschätzt. Was ist dir an dieser Arbeit so wichtig?
Jochen: Mir ist wichtig, dass wir kritisch und wachsam bleiben. Meine große Sorge ist die augenblickliche gesellschaftliche Entwicklung. Ich habe ja noch die Naziherrschaft miterlebt. Der Tag, an dem die Amerikaner in Göttingen einmarschierten, war für mich wirklich ein Tag der Befreiung. Die Freiheit des Denkens musste natürlich eingeübt werden.
Sara: Und heute gibt es sie nicht mehr – die Freiheit des Denkens?
Jochen: Zumindest nehme ich eine allgemeine Geringschätzung dieses für das Zusammenleben so wichtigen Guts wahr. Jugendliche üben nicht mehr, eigenständig zu denken und Neues, Anderes zu entwickeln, sondern versuchen nur noch, in ihrem jeweiligen Job gut und noch besser zu funktionieren. Ich habe die Befürchtung, dass wir uns in Deutschland immer weiter von den Grundvoraussetzungen demokratischen Bewusstseins entfernen mit gravierenden Folgen – einschließlich der noch nicht abzusehenden Einwirkung der Digitalisierung auf die Gesellschaft.
Sara: Damit spielst du auch auf die Wahlerfolge rechter Parteien, fremdenfeindliche Stimmung und Rassismus an. Was können wir dagegen tun?
Jochen: Ich halte es da mit Kant: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen in dieser Unmündigkeit verharren und lieber den Parolenschreiern nachlaufen. Es ist so bequem. Aber: Demokratie hat man nicht, sie muss ständig gelebt und gestaltet werden. Das bedeutet: Fragen, Diskurs, Auseinandersetzung. Es gibt nicht nur die eine, meine Wahrheit, es gibt immer wenigstens eine Alternative. Alternativlos ist nur der Tod.
Sara: Ein Vorbild sind sicher die vielen Ehrenamtlichen, die sich bei uns engagieren. Aber was können wir bei Exil noch ganz konkret tun, um Alternativen aufzuzeigen?
Jochen: Der islamistische Terrorismus, aber auch die rechtsradikale Gewalt, verbreiten Angst und infizieren unseren Alltag mit Misstrauen. Das führt die Gesellschaft in eine Starre, die auch die Aktivität und Lebendigkeit so vieler Bürger zu lähmen droht. Exil als Verein müsste wie ein Seismograph die brandgefährlichen Entwicklungen in der Gesellschaft als solche wahrnehmen und darauf nicht nur reagieren, sondern möglichst vorbeugend handeln. Wir müssen uns ständig fragen: Nehmen wir im eigenen Umfeld Veränderungen in Richtung Gewaltbereitschaft oder Gedankenlosigkeit wahr und was machen wir selbst? Sind wir mit unseren Aktionen Erfüllungsgehilfen oder nützliche Idioten staatlicher Vorgaben oder entlarven wir damit die Scheinheiligkeit staatlichen Handelns? Wenn wir uns dieser Dinge bewusst sind und in unserer Sprache präzise genug, kann das zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz führen.