Gesichter des Vereins: Daniela Boltres

Daniela Boltres

Im April 2017 übernahm Daniela die Leitung der Arbeitsgruppe Öffentlichkeits- und Kulturarbeit von Sara Höweler. Seit November 2017 ist sie Koordinatorin der Exil-Deutschkurse und -Sprachlerngruppen. Beide Aufgaben kann Daniela sehr gut miteinander verbinden, denn es ist offenkundig, dass Sprache – gesprochen oder geschrieben – ihre Leidenschaft ist. Klaus Stakemeier befragte sie zu ihrem Werdegang, ihrer Arbeit und weiteren Plänen.

Klaus: Deine Beschäftigung mit Sprache hat in unserer Kulturarbeit einen neuen Akzent gesetzt. Hattest du in deiner Kindheit und Jugend auch schon Spaß an Sprache und welche Ausbildung half dir bei der Weiterentwicklung dieses Interesses?

Daniela: Ich bin in Rumänien in Siebenbürgen in einem vielsprachigen Kontext aufgewachsen. Mein Großvater zum Beispiel beherrschte sieben Sprachen. Ungewöhnlich war und ist nach wie vor, dass er auch Romanes lernte und Roma in unserer Stadt auf Romanes ansprach. Wir sprachen in der Großfamilie auch im Alltag drei bis vier Sprachen. In Siebenbürgen war und ist es gang und gäbe, dass die Menschen häufig die verbreitetsten Sprachen ihrer Nachbarn sprechen, also Rumänisch, Deutsch, Siebenbürgisch-Sächsisch, Ungarisch. Dazu kommen Englisch und manchmal Französisch. Ich habe Freunde, die auch noch Spanisch, Griechisch oder Italienisch sprechen – je nachdem, wo sie studiert oder gearbeitet haben. Ich selbst habe mich im Studium viel mit Literatur beschäftigt und schreibe Gedichte in meinen drei Sprachen – Rumänisch, Deutsch und Siebenbürgisch-Sächsisch. Ab dem ersten Semester in Freiburg, später in Tübingen, Berlin, Rostock, zwischendurch in Kronstadt/Brasov in Rumänien habe ich auch stets Deutsch unterrichtet, sodass ich jede Zeit meines Lebens in bunten Sprachgeflechten verbracht habe. Nun träume ich davon, Arabisch zu lernen.

Klaus: Letztes Jahr hast du über deine Arbeit für Exil mit dem Gedicht-Projekt WER VERSTEHT DAS SCHON?© u.a. bei der Osnabrücker Kulturnacht für Aufsehen gesorgt. Wie geht es damit weiter?

Daniela: Ich bin außerordentlich froh, dass die Gedichte, die demnächst auf Lkw-Planen gedruckt werden, ab Ende Juli hier in Osnabrück zu Gast im Felix-Nussbaum-Haus sein werden. Später im Sommer reisen sie auf Initiative einer Osnabrücker Projektteilnehmerin nach Halle. Und dann haben die Gedichte auch noch Einladungen nach Rumänien bekommen. Sie werden zum Beispiel ab April im Deutschen Kulturzentrum Kronstadt/Brașov ausgestellt. Dort werden sie in einem Workshop als Aufhänger für eine Diskussion zum Thema „Fremd sein – Zuhause sein“ dienen.

Klaus: Eine Frage zum Thema Spracherwerb: Welche Kurse gibt es zurzeit und wohin entwickeln sich aus deiner Sicht gerade die Sprachangebote von Exil?

Daniela: Derzeit haben wir Kurse auf dem Level A1 bzw. A2/B1, die besonders Geflüchteten offenstehen, die auf die regulären Kurse der anderen Anbieter keinen Anspruch haben. Ich denke, dass die Exil-Sprachkurse gerade für die genannte Zielgruppe eine sehr wichtige Alternative sind, um die zermürbenden Zeiten des Wartens und der Ungewissheit etwas gliedern und sinngebend erleben zu können. In meinen Sprechstunden erlebe ich zunehmend, dass wir von Exil als Beraterinnen für Lernbiographien gefragt sind. Die Interessent*innen möchten nicht nur wissen, wann zum Beispiel der nächste B1-Kurs stattfindet, sondern auch welches Level für ihre langfristigen Ausbildungs- bzw. beruflichen Schritte nötig sind und wie sie das am besten in Osnabrück umsetzen können. Langfristig wünsche ich mir eine bessere Verzahnung der Sprachangebote in der Stadt, damit die Menschen schneller in ihre angestrebten Studien-, Ausbildungs- oder Arbeitskontexte gelangen können.

Klaus: Daniela, woher stammt überhaupt dein Interesse für die Themen Flucht und Migration?

Daniela: Als 16-Järige erhielt ich von Amts wegen einen sogenannten Flüchtlingsausweis und die deutsche Staatsbürgerschaft. Diese beiden offiziellen Akte basierten auf dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz. Sie gehen zurück auf das Dritte Reich und seine Vernichtungskriege, aus der sich Benachteiligungen deutscher Minderheiten im Ostblock zur Zeit des Kalten Krieges entwickelten. Den Deutschen in Polen war etwa der Unterricht in der Muttersprache versagt. Und mein siebenbürgisch-sächsischer Großvater als Angehöriger der deutschen Minderheit war für fünf Jahre in die Sowjetunion deportiert worden. Die Bundesrepublik hat mit diesem Gesetz dann eine Art Wiedergutmachung versucht. Wir sollten den bundesrepublikanischen Bürger*innen gleichgestellt werden. Unsere Auswanderung nach Deutschland 1987 war für meine Eltern auch ein Akt der Migration aus einem sehr feindseligen Kontext. Das Kollektive, das Politische, hatte unmittelbare Konsequenzen im Privaten. Zugleich wirkte gerade dieses Kriegsfolgen-bereinigungsgesetz sehr exklusiv. Ich war sehr bestürzt, als ich dann bald erfuhr, dass meine türkischen Schulfreund*innen in Dormagen, deren Familien schon so lange in Deutschland lebten, eben keine deutschen Bürger*innen sein konnten. Spätestens da habe ich angefangen, mich intensiv mit Migrationsgeschichten und Migrationspolitik zu beschäftigen. Da war ich 17 und durfte das große Geschenk der Offenheit und Hilfsbereitschaft meiner neuen rheinischen Freund*innen und ihrer Familien erfahren.

Dann ist mein persönliches Interesse an Flucht und Migration auch noch einmal speziell auf meine Mutter zurückzuführen. Ich habe erst lange nach ihrem Tod erfahren, dass sie Jüdin war. Sie hat – anders kann ich es mir nicht erklären – den Weg in die innere Emigration gewählt, um uns Kinder zu schützen. Sowohl in der Familie als auch in der rumänischen Gesellschaft gab es expliziten Antisemitismus. Das beschäftigt mich darum auch noch einmal anders: die Möglichkeiten, jemanden auszugrenzen und ins – innere oder äußere – Exil zu treiben, scheinen unendlich vielfältig zu sein. Da haben wir Menschen sehr viel zerstörerische Phantasie! Menschen in diesem nicht selbst gewählten, ungefestigten Zustand zu begleiten oder gar zu unterstützen, erscheint mir wiederum die plausibelste Sache der Welt zu sein. Da ist Sprache sehr hilfreich.

Klaus: Du kennst mittlerweile Exil von innen und außen. Siehst du unseren Verein gut genug aufgestellt, um die Erstberatung und die zunehmende Integrationsarbeit zum Wohle aller Schutzsuchenden auch weiterhin zu gewährleisten?

Daniela: Das breite Angebot von Exil mit seinem großen Beratungsteam bietet mit großem Erfolg sehr vielen verschiedenen Menschen Rat und konkrete Hilfe. Das wissen nicht nur die Förderstellen oder die Geflüchteten, das weiß auch die Stadtgesellschaft, wie ich immer wieder erlebe. Ich hoffe natürlich, wie wir alle, dass dieses Beratungsangebot langfristig gefördert werden wird, weil Neuankommende nicht nur einmal Rat brauchen, sondern sich nach und nach auch noch andere Fragen im Verlaufe der Zeit ergeben. Zudem bin ich der Ansicht, dass wir neben unserem Angebot in der Frauenberatung gut daran tun – und erste Schritte haben wir in diese Richtung ja auch schon getan – uns auch mit männerspezifischen Fragestellungen zu beschäftigen. Ich kenne sehr gute Männerarbeit aus dem kirchlichen Kontext und sehe auch für uns darin eine tolle Aufgabe, die besonderen Anliegen und Fragestellungen zu Frauen-, Männer- und Genderbildern zu reflektieren und Orientierung zu bieten. Das müssen wir natürlich nicht allein machen, es gibt auch schon Einrichtungen in der Stadt, die hier spezifische Angebote entwickelt haben, aber auch wir sollten uns damit weiterhin auseinandersetzen.

Was ich über die Beratungsarbeit hinaus genauso wichtig finde und weswegen ich vergangenes Jahr zu Exil gekommen bin, ist, dass Exil – und hier meine ich die Aktionen der ehrenamtlichen und hauptamtlich Engagierten zusammen mit Geflüchteten – auch politische Solidarität zeigt und sich regelmäßig sowohl in internen Foren als auch öffentlich positioniert. Die Kulturarbeit von Exil ist eine wesentliche partizipative Form, um Anliegen der Geflüchteten sichtbar zu machen.

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