„Bleib doch Mensch!“ – Rede von Ibrahim Damaj

Ibrahim Damaj

Ich heiße Ibrahim Damaj, bin 34 Jahre alt und komme aus Palästina. Meine Familie stammt aus Haifa, aber als Haifa 1948 ein Teil von Israel wurde, wurde sie vertrieben. Ich selbst bin im Flüchtlingslager Jenin geboren und aufgewachsen. Ich war schon bei meiner Geburt ein Flüchtling.

Mein Vater hatte ein Restaurant. Als er 2000 starb, war ich 17 Jahre alt und übernahm das Restaurant, um für meine Familie zu sorgen. Doch danach kam die Intifada. Ich wurde von der israelischen Regierung verhaftet und blieb ein Jahr lang im Gefängnis. Mein Lager wurde zerstört. 400 Häuser waren weg.

Nachdem ich wieder frei war und mein Abitur gemacht hatte, habe ich angefangen, Marketing zu studieren. An der Uni wurde ich zum Sprachführer der „Studenten aus Jenin“ gewählt und versuchte, die Probleme der Studenten zu lösen. Ich wollte Frieden zwischen Israel und den Palästinensern und Neuwahlen, um einen Präsidenten für alle Palästinenser zu wählen.

Daraufhin wurde ich von radikalen Palästinensern verfolgt. Sie wollten mich töten. Jemand stach mich mit dem Messer nieder. Ich lag 40 Tage im Krankenhaus und kämpfte um mein Leben.

Als ich wieder gesund war, machte ich weiter. Ich arbeitete mit dem Friedensaktivisten Juliano Mer-Khamiz im Friedenstheater in Jenin und organisierte Diskussionsveranstaltungen. Die Radikalen schickten mir eine Nachricht, dass sie mich beim ersten Mal nicht töten konnten. Sie würden mich aber sicher töten, wenn ich so weiter machte. Ich machte trotzdem weiter. Doch dann wurde Juliano Mer-Khamiz ermordet. In dem Moment habe ich beschlossen, Palästina zu verlassen.

Ich beendete mein Studium und ging nach Deutschland, dem Paradies auf Erden. Das dachte ich. Aber die Realität ist anders.

Ich bin seit drei Jahren in Deutschland und bis jetzt verstehe ich die Kultur hier nicht. Die Sprache ist sehr kompliziert. Ich kann nicht mal einen Brief schreiben. Aber ich kann mir keine Deutschkurse leisten. Als Palästinenser muss ich die Kurse selbst bezahlen. Um das A2-Niveau zu erreichen habe ich 1.200 Euro bezahlt. Mehr kann ich mir nicht leisten. Wir Palästinenser sind anders als Syrer, Afghanen, Iraker. Wir sind staatenlos. In der Arbeitsagentur gehen wir Palästinenser in ein anderes Büro als die anderen. Wir haben in Deutschland einen Sonderstatus.

Ich habe zum Beispiel eine Ablehnung bekommen und habe gefragt „Warum?“. Die Antwort war „Du hast in Palästina studiert und warst deshalb sicher.“ Das war ich nicht! Radikale Palästinenser haben versucht, mich zu töten. Ich kann auch deshalb nicht nach Palästina zurück, weil Israel und Jordanien mich nicht akzeptieren würden. Selbst wenn ich will: Ich kann nie mehr nach Palästina zurück.

Ich habe immer gesagt, dass ich den Traum habe, frei zu sein. Heute will ich mich einfach nur sicher fühlen. Eins will ich sicher nicht: Ich will kein Held sein. Ich will nicht, dass mein Foto im Jenin-Lager aufgehängt wird. Dort werden Fotos von allen Menschen aufgehängt, die gestorben sind. Sie nennen sie Helden.

Ich will leben. Ich will meine Träume verfolgen. Ein palästinensischer Dichter, Mahmoud Darwisch, hat über das palästinensische Volk geschrieben „Und wir, wir lieben das Leben, so sehr wir nur können“. Als Palästinenser muss man immer kämpfen, um am Leben zu bleiben. Und ich habe das Gefühl, dass ich auch hier in Deutschland weiter kämpfen muss. Dabei möchte ich doch nur ein Stück Frieden.

Ich weiß nicht, wie ich euch danken soll. Es ist schön, dass heute Abend so viele Menschen hier sind. Ganz besonders möchte ich meinen Freunden danken, die so denken wie ich. Die die gleiche Meinung haben über Menschenrechte, Frieden und Freiheit: Dominik, Yana, Max, Alex und Anette. Sie helfen mir immer, sind immer für mich da. Sie helfen mir dabei, Teil der Gesellschaft zu werden. Für Menschen wie mich ist es wichtig, solche Menschen zu haben und ich wünsche mir, dass wir alle zusammen in Frieden miteinander leben können. Ohne Vorurteile. Egal welche Hautfarbe, egal welche Herkunft.

Ich danke Ihnen.

 

Diese Rede wurde im Rahmen der Demonstration „Bleib doch Mensch!“ am 6. Dezember 2016 in Osnabrück gehalten. 

Weitere Beiträge